Symposium 2021 Mehr Vielfahlt – mehr Nachhaltigkeit?

Von

Florian Blumer, Redaktor Biovision

Das Biovision-Symposium 2021 im Zürcher Volkshaus – zum ersten Mal seit Ausbruch der Pandemie wieder vor Publikum – stand ganz im Zeichen der Vielfalt. Denn diese hat vielfältige positive Effekte: vom Schutz vor Klimawandelfolgen über Pestizidreduktion bis zu gesünderem Essen.

Aus den Lautsprechern quietscht’s und brummt’s, kratzt’s und schmatzt’s. Die irritierenden Geräusche, die Biovision-Geschäftsführer Frank Eyhorn in seiner Moderation unterbrechen, sind keine technische Panne. Im Gegenteil: Sie demonstrieren, dass man Vielfalt nicht nur – wie auf dem Feld – sehen oder – auf dem Teller – schmecken kann. Nein, im Boden kann man sie auch hören.

Gesunder Boden muss tönen 

Anna Schöpfer, verantwortlich für den Bereich Sensibilisierung Schweiz, stellt das Biovision-Projekt Sounding Soil vor – es macht den Boden hör- und damit erfahrbar. Wissenschaftler:innen sind gerade dabei, die unterirdischen Geräusche als Indikator für einen gesunden Boden zu entdecken. Denn vielfältige Geräusche bedeuten vielfältiges unterirdisches Leben, und das wiederum einen Boden, der seine für uns überlebenswichtige Funktionen erfüllen kann: als Grundlage für nährstoffreiches Essen, zur Bindung von CO2, zur Vorbeugung von Erosion und vielem mehr.  

Diversität im Anbau wiederum bedeutet für eine Kleinbäuerin in Kenia, dass sie nicht zum Beispeil von der Mais- oder Kohlernte allein abhängig ist. Stützt sie ihre Produktion auf unterschiedliche Sorten, profitiert sie von einer höheren Einkommens- und Ernährungssicherheit – besonders wichtig heute, da das Wetter durch den Klimawandel unberechenbarer geworden ist. 

Vielfalt schlägt Schädlinge in die Flucht 

Weiter kann Vielfalt auch den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden stark reduzieren. Denn in Feldern mit Mischkulturen haben es Schädlinge grundsätzlich schwerer als in Monokulturen. Wenn aber, wie im Falle des ausgeklügelten Push-Pull-Systems für Mais- und Hirse-Anbau – eindrücklich demonstriert vom Biovision-Programmverantwortlichen Fabian Kohler –, Arten gezielt kombiniert werden, können damit gleichzeitig Schädlinge abgehalten und Unkraut zurückgedrängt werden. Der Ernteertrag, so hat die Praxis gezeigt, kann damit um das Doppelte oder gar Dreifache steigen – gänzlich ohne Einsatz von chemischen Pestiziden. 

«Bei Führungen auf unserem Hof sage ich immer: Kaufen Sie ein, wie sie abstimmen! So hätten wir schon bald einen Anteil von 40 bis 50% an Bio-Produkten.»

Andreas Nussbauer, Pächter des Bio-Hofs Burgrain in Willisau LU

Schliesslich sind wir alle, um uns gesund ernähren zu können, auf Vielfalt auf unseren Tellern angewiesen. Für die abschliessende Podiumsdiskussion empfängt Frank Eyhorn vier Gäste, die wissen, wie es um die Vielfalt in unserem Ernährungssystem steht. Der Agrarökologie-Experte hält gleich zu Beginn fest: «Es geht nicht darum, Vielfalt an sich zu fördern. Sie muss nachhaltig sein, erschwinglich für die Konsumentinnen und fair für die Produzierenden.»

Rückblick Biovision-Symposium 2021 – Teil 1 

Ziel: Nachhaltigkeit als Norm 

Bernhard Kammer, Leiter Ökologie & Nachhaltigkeitslabel bei der Migros, gibt zu bedenken, dass der grössere Teil ihrer Kundschaft nicht gut informiert sei, meint aber: «Auch Ihnen müssen wir ein Sortiment anbieten, das nachhaltig ist – nicht nur den bewusst Einkaufenden.» Stephanie Hess, Autorin des von Biovision mitherausgegebenen Beobachter-Ratgebers ÖKOlogisch!, sagt, sie beobachte, dass eigentlich alle nachhaltig einkaufen wollten, aber: «Viele sind frustriert und verwirrt durch die vielen Labels, mit denen teils auch Greenwashing betrieben wird, sprich dass sie vorgeben, nachhaltiger zu sein, als sie in Wirklichkeit sind.» Zudem sei nachhaltige Ernährung immer noch eine teure und «elitäre Angelegenheit». Das Ziel müsse sein, «dass ich als Konsumentin in den Laden gehen und sicher sein kann, dass das, was ich kaufe, nachhaltig ist.»  

«Wir alle müssen unseren Lebensstil kritisch hinterfragen und auch lernen zu verzichten, gerade im Freizeitbereich – Stichwort Flugreisen. Und wir müssen einen nachhaltigen Warenkorb zusammenstellen, das Angebot dazu ist da. Wir sollten weniger Fleisch essen und Food Waste vermeiden.» 

Bernhard Kammer, Leiter Ökologie & Nachhaltigkeitslabel bei der Migros

Rückblick Biovision-Symposium 2021 – Teil 2

Ich bin Landwirtschaft 

Andreas Nussbaumer, Biolandwirt aus Willisau LU, setzt auf die Konsument:innen. Auf seinem Hof macht er regelmässig Führungen, bei denen er seine Arbeit erklärt. Er ist überzeugt, dass die Sensibilisierung wirkt: «Die Besucherinnen und Besucher haben viele Aha-Erlebnisse.» Neu gebe es auf dem Hof auch ein Agrarmuseum, das der Frage nachgeht: Wer ist Landwirtschaft? Die Antwort, auf welche die Besuchenden hingeführt werden: Jeder und jede. Denn die Konsumentin und der Konsument bestimmen entscheidend mit, wie und welche Lebensmittel produziert werden. 

«Seien Sie grosszügig mit sich selbst! Verzweifeln Sie nicht, sollten sie doch mal wieder einen Flug gebucht oder das 50%-Poulet am Eingang gekauft haben. Gestehen Sie sich ein, dass Sie auch mal gescheitert sind und machen Sie einfach weiter, versuchen Sie weiter das Beste.»

Stephanie Hess, Journalistin und Autorin des Beobachter-Ratgebers «ÖKOlogisch!»

Auch Stephanie Hess verneint nicht, dass die Konsument:innen eine Verantwortung tragen. Doch sie sieht bei der Politik einen «viel grösseren Hebel» zur Veränderung: «Gerade in Bezug auf den Klimawandel wird es nicht reichen, auch wenn jeder Konsument und jede Konsumentin alles richtig macht.» Bernhard Kammer von der Migros bekräftigt, dass «Systeme, die Mehrwert bieten, von Bio Suisse etwa oder von Demeter» auch finanziell stärker gefördert werden, sprich mehr von Direktzahlungen profitieren sollten.  

Keine Subventionen für umwelt- und gesundheitsschädigende Produkte 

In dieselbe Kerbe wie der Migros-Nachhaltigkeitsverantwortliche schlägt Biovision-Präsident Hans R. Herren, der zum Abschluss der Veranstaltung von Frank Eyhorn zum Thema befragt wird. Der Welternährungspreisträger fordert einen Stopp der Subventionen für Produkte, die den Klimawandel befeuern sowie Lebensmittel, die ungesund sind, weil sie Pestizid-Rückstände enthalten oder aus nährstoffarmen Böden stammen und entsprechend kaum Nährstoffe enthalten. 

Spontanen Applaus erhält der Biovision-Gründer, als er fordert, dass Kosten internalisiert werden müssten – Produktepreise also die wahren Kosten spiegeln sollten, inklusive den Schäden, die sie anrichten. Als «skandalös» bezeichnet er den Umstand, dass in der reichen Schweiz mit den Argumenten «wir werden zu wenig zu essen haben» und «die Lebensmittel werden teurer» gegen die Pestizid-Initiativen argumentiert wurde. 

«Die Themen Ernährungsstil und Food Waste verdienen viel mehr Aufmerksamkeit. Fragen Sie sich: Kann ich den Anteil an pflanzlichen Produkten in meiner Ernährung steigern? Kann ich vielleicht zweimal in der Woche ein veganes Gericht ausprobieren? Und schauen Sie immer wieder in den Kühlschrank und achten darauf, dass nichts vergammelt.» 

Yvonne Lötscher, Leiter Nachhaltige Ernährung Stadt Zürich

Dass landwirtschaftliche Vielfalt auch in der Stadt möglich ist, zeigen die Ausführungen von Yvonne Lötscher, Leiterin Nachhaltige Ernährung bei der Stadt Zürich. So sind gemäss ihrer Aussage erstaunliche 10% der Stadtfläche Zürichs landwirtschaftlich nutzbar, darauf gebe es 20 Bauernbetriebe. Dazu existierten in der Stadt rund 5000 Familiengärten sowie Gemeinschaftsgärten, mehrere Betriebe der solidarischen Landwirtschaft sowie agrarökologische Konzepte. Das Ermutigende, so Lötscher: «Davon gibt es immer mehr und die Projekte werden immer vielfältiger.» 

Zum Schluss der Podiumsdiskussion ergreift Landwirt Andreas Nussbaumer noch einmal das Wort. Als Produzent ist ihm wichtig, sich gegen das Argument zu wehren, nachhaltige Ernährung sei zu teuer: «Wir geben heute in der Schweiz nur 6% unseres Einkommens für Essen aus – vor einigen Jahren waren es noch 20, 30%. Lebensmittel sind nicht zu teuer, sie sind zu billig!» Szenenapplaus. Stephanie Hess schiebt nach, dass wir uns an einen – fleischlastigen – Ernährungsstil gewohnt hätten, den sich nicht alle leisten könnten, wenn sie auf Bio umstiegen. Deshalb ihr Schluss: «Für eine vielfältigere und nachhaltigere Ernährung werden wir unseren Lebensstil ändern müssen.»

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