Das Projekt «integraL» im Kurzporträt
Wer kennt sie noch, die Platterbsen und Lupinen? Hülsenfrüchte waren einst ein fester Bestandteil unserer Ernährung, finden sich heute aber hauptsächlich in den Futtertrögen von Tieren. Dabei sind sie nicht nur wertvolle Protein-, Vitamin- und Ballaststofflieferant:innen, sondern auch gut für die Bodenfruchtbarkeit. Trotzdem werden sie in der Schweiz nur auf kleinen Flächen angebaut. Es fehlen geeignete Sorten, aber auch Anbautechniken, Verarbeitungs- und Vermarktungsmöglichkeiten für Hülsenfrüchte.
Hier setzt das Projektteam von integraL («Interdisciplinary Research on Grain Legumes») an, ein Projekt der Getreidezüchtung Peter Kunz in Zusammenarbeit mit Critical Scientists Switzerland, semnar und der Universität Lausanne. Bei intergraL geht es um die Etablierung von Hülsenfrüchten in der Schweiz durch das Experimentieren mit neuen Methoden in der Züchtung, dem Anbau und der Verarbeitung. Zusätzlich untersucht integraL die historischen Ursachen für die Verdrängung der Hülsenfrüchte von den Schweizer Feldern und Tellern. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der in Vergessenheit geratenen, aber aufgrund ihrer Trockenheitstoleranz für den Anbau relevanten Platterbse.
Im Projekt integraL ist die Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft zentral. Verschiedene Höfe aus der West- und Deutschschweiz sind am Projekt beteiligt und führen Versuche zu passenden Sorten und Anbaumethoden auf ihren Höfen durch. Damit ist integraL ein Vorzeigebeispiel für agrarökologische Forschung.
Biovision bietet mit der Rubrik «Beispiele für ein nachhaltiges Ernährungssystem» jenen Initiativen und Projekten in der Schweiz eine Bühne, welche ohne unsere Begleitung oder finanzielle Unterstützung ein nachhaltiges Ernährungssystem mitgestalten. Damit zeigen wir, dass zukunftsfähige Lösungen existieren und ein Wandel möglich ist.
IntegraL im Internet
Platterbse – die Umweltheldin
Die Vorteile und Herausforderungen von Körnerleguminosen werden am Beispiel der Platterbse deutlich: Diese wächst in unseren feuchten Regionen so üppig, dass sie auf den Boden kippt – was die maschinelle Ernte erschwert. Deshalb baut das Team von integraL die Platterbse in Mischung mit Getreide an: Das Getreide stützt die Platterbse, während diese die Bodenfruchtbarkeit (Prinzip 3) verbessert: Sie reichert den Boden mit Stickstoff an und verringert so den Bedarf an Dünger (Prinzip 2). Der gleichzeitige Anbau von mehreren Pflanzenarten auf dem Feld führt zudem zu einer diverseren Agrarlandschaft (Prinzip 5). Diese blüht mehr und länger, was Bestäubern Nahrung bietet.
Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Höfen
Neben den ökologischen Vorteilen ist der Anbau von Leguminosen für Betriebe interessant, die auf ein vielfältiges Anbaukonzept setzen. Ein Beispiel dafür ist der 30 Hektar grosse Bio-Hof Rinderbrunnen in Grüt bei Wetzikon (ZH). Dieser möchte seine Produktepalette für die Direktvermarktung diversifizieren (Prinzip 7). Dafür sucht das Hof-Team auf der eigenen Versuchsfläche nach den Sorten und Anbaumethoden, die für ihren Standort und ihre Vermarktung am besten geeignet sind.
Neben Platterbsen wachsen auf dem Versuchsfeld unter anderem auch Erbsen, verschiedene Bohnen, Kichererbsen, Lupinen, und Erdnüsse. Die Bedingungen auf der Versuchsfläche entsprechen den realen klimatischen Anbaubedingungen der Region – das Hof-Team nutzt keine Hilfsmassnahmen wie Bewässerung. Die Sorten, die auf dem Versuchsfeld am besten gedeihen, werden künftig im grösseren Stil auf dem Hof angebaut.
Neue Wege in der Pflanzenzüchtung
IntegraL ist praxisnah und stellt eine wichtige Ergänzung dar zur gängigen modernen Pflanzenzüchtung, welche häufig auf Arbeiten unter kontrollierten Umweltbedingungen in Gewächshäusern und im Labor reduziert wird. Das Projekt bezieht das Wissen und die Bedürfnisse der Landwirtschaft und Verarbeitung mit ein (Prinzip 8). Während sich die kommerzielle Züchtung oft nur auf die grossen landwirtschaftlichen Kulturen wie Weizen und Mais konzentriert, berücksichtigt integraL eine Vielzahl von Kulturpflanzen. Zudem selektioniert das Forschungsprojekt die Pflanzen nach einer Vielzahl von Faktoren, wie ihre Widerstandsfähigkeit, ihre Verarbeitbarkeit und regionale Besonderheiten.
Wieso dieser ganzheitliche Ansatz wichtig ist, lässt sich an der Platterbse verdeutlichen: Diese Pflanze ist gegen Trockenheit und Krankheiten äusserst widerstandsfähig, enthält jedoch kleine Anteile eines Toxins (ODAP). Dieses ist bei einer ausgewogenen Ernährung unbedenklich. Dennoch hat die Platterbse aufgrund des Toxins ein negatives Stigma erhalten. Die industrielle Forschung versucht, dieses Toxin durch klassische Züchtung oder Gentechnik zu entfernen – trotz Hinweisen, dass die Widerstandsfähigkeit der Pflanze davon abhängen könnte. Hingegen interessiert sich integraL dafür, wie das Kochen, Einweichen oder Fermentieren der Erbsen zur Reduktion des Toxins beitragen könnten. Die Wetziker Manufaktur «Das Pure» stellt aus Platterbsen beispielsweise Tempeh her, ein durch Fermentation erzeugtes Nahrungsmittel.
Das Projekt leistet durch die enge Zusammenarbeit mit der Praxis auch einen politischen Beitrag, indem die Vorteile partizipativer Forschung (Prinzip 13) veranschaulicht werden.
So funktioniert die Bewertung mit B-ACT
Das B-ACT spiegelt die Ausrichtung von Unternehmen, Projekten und Initiativen an den 13 agrarökologischen Prinzipien des «High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition» (HLPE) wider (siehe «Agrarökologie kurz erklärt»).
Dabei ist jedes Prinzip in eines der drei übergeordneten Themen eingeordnet:
- Erhöhung der Ressourceneffizienz
- Stärkung der Resilienz
- Sicherung der sozialen Gerechtigkeit
Zu allen Prinzipien wurden von Biovision in Zusammenarbeit mit Partner:innen Fragen erarbeitet, die in das B-ACT eingebaut wurden. Je mehr Fragen für eine Initiative oder ein Geschäftsmodell positiv beantwortet werden können, desto höher ist der Beitrag zu dem entsprechenden Prinzip.
Damit punktet das Projekt
- integraL setzt auf die Diversifizierung des Anbaus mit Körnerleguminosen. Dies verbessert die Bodenfruchtbarkeit, fördert die Biodiversität und macht die Landwirtschaft widerstandsfähiger gegenüber Extremwetterereignissen. Innerhalb des Forschungsprojekt entsteht durch die Zusammenarbeit das nötige Wissen zu geeigneten Sorten, Anbaumethoden und Vermarktungswegen von Leguminosen – und somit die Grundlage für deren Verbreitung in der Schweiz.
- integraL ist ein Beispiel für agrarökologische Forschung auf Augenhöhe mit Bäuerinnen und Bauern. Statt sich ausschliesslich auf den Ertrag zu konzentrieren, verfolgt das Projekt einen ganzheitlichen Ansatz und bezieht Faktoren wie die Bodenfruchtbarkeit oder die lokale Verarbeitung mit ein. Das Projekt sucht praktische Lösungen, die den Anbau von Körnerleguminosen unter realen Bedingungen ermöglichen und dabei unsere Lebensgrundlagen nicht auslaugen.
- integraL engagiert sich in der Öffentlichkeitsarbeit und Politik, um das gesammelte Wissen zu teilen und die Vorteile partizipativer Züchtung und Forschung in der Landwirtschaft bekannter zu machen.
«integraL» stellt sich vor. Video: gzpk.
Diese Herausforderungen bestehen für das Projekt
Nachhaltige Veränderungen in der Landwirtschaft erfordern Anpassungen in der gesamten Wertschöpfungskette. Das Potenzial von agrarökologische Anbausysteme wie Mischkulturen wird momentan nicht ausgenutzt: Beispielsweise könnten Mischkulturen mehr Ertrag liefern als Einzelkulturen, da die verschiedenen Kulturen die verfügbaren Ressourcen effizienter und komplementär nutzen. Auch könnte der Ertrag stabiler sein, beispielswiese bei wechselnden Wetterbedingungen, da einige Sorten und Arten bei Trockenheit üppig wachsen, während andere Nässe besser aushalten.
Allerdings sind Agrartechnik, Pflanzenzüchtung und Verarbeitung nicht auf den Anbau in Mischkulturen ausgerichtet. Sie verfügen nur teils über die notwendigen Maschinen, Sorten und das Wissen für den Anbau, die Ernte und Verarbeitung von Lebensmitteln aus agrarökologischen Anbausystemen.
Ein Beispiel: Das Anbauen von Mais und Bohnen oder Erbse und Gerste wäre sinnvoll. Der Anbau solcher resilienten Mischkulturen scheitert in der Praxis allerdings daran, dass die verschiedenen Körner nach der Ernte nicht getrennt werden können. Die Mechanisierung in der Landwirtschaft ist zu stark auf Einzel-, statt auf Mischkulturen ausgerichtet. Wir fliegen auf den Mond, aber können Mais nicht maschinell von Bohnen trennen.
Innovative Kulturen und agrarökologische Forschungspraktiken erhalten kaum Förderung, da das Bewusstsein für ihre Relevanz fehlt. Besonders in der Anfangsphase neuer Kulturen fehlt die nötige Unterstützung, um die passenden Sorten und Anbaumethoden zu entwickeln und die Absatzsicherheit zu gewährleisten. Das Einführen einer neuen Kultur in der Landwirtschaft ist vergleichbar mit einem Start-up: Es braucht Zeit und Geld, bis alles optimal läuft. Und wenn es einmal nicht rund läuft, gehört das dazu. Dies ist aber kein Grund, es nicht zu versuchen.
Letztlich sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen oft ein Hindernis. Damit Sorten zugelassen werden, müssen sie beispielsweise einen bestimmten Mindestertrag im Einzelanbau erreichen. Dies ist für die Zulassung von Sorten für Mischkulturen häufig nicht sinnvoll. Oft selektiert man dort Pflanzen nach einer spezifischen Funktion, wie das Stützen einer Partnerkultur. Ein Fokus auf Ertragsmaximierung der einzelnen Kultur kann diese Funktion beeinträchtigen.