Selbstorganisierte Ausbildung in Öko-Gemüsebau

Von

Samira Amos, Biovision (Bilder: F.A.M.E.)

Bei dieser Ausbildung legen die Auszubildende selber Hand an und gestalten eine vielfältige, kleinstrukturierte Landwirtschaft mit. Bedauerlicherweise fehlt die Anerkennung für diesen Abschluss, obschon in diesem Bereich ein Fachkräftemangel besteht.

F.A.M.E. im Kurzporträt 

25 Personen starteten die erste Ausbildung im 2020. Sie haben ein Handwerk erlernt, das man in der Schweiz sonst nirgends lernen kann: den kleinstrukturierten Gemüsebau, bei dem die Bodengesundheit und die Biodiversität zentral sind. Zwar ist Gemüsegärtner:in ein Lehrberuf, doch dieser ist eher auf den grossflächigen, industrialisierten Anbau ausgerichtet. Gleichzeitig mangelt es im kleinstrukturierten Gemüsebau, wie er häufig in solidarischen Landwirtschaftsprojekten (siehe beispielsweise das Praxisbeispiel «Seminterra ») zu finden ist, an Fachkräften. Aus diesen Bedürfnissen heraus entstand F.A.M.E., die Formation Autogérée de Maraîchage Écologique (deutsch: Selbstorganisierte Ausbildung im ökologischen Gemüsebau) mit Sitz in Basel.

Während der zweijährigen Ausbildung arbeiten die Teilnehmenden mindestens 60 Prozent auf einem Gemüsebaubetrieb. Zusätzlich beteiligt sich jede:r Teilnehmende an mindestens einer der zehn Arbeitsgruppen, die sich mit Themen wie Lehrplan und Finanzen befassen. Im Winter finden zehn Theorieseminare statt, wobei neben externen Expert:innen aus der Praxis auch die Teilnehmenden ihr Wissen weitergeben. Zahlreiche Betriebsexkursionen sind Teil des Lehrplans. Somit ist die Ausbildung sowohl selbstorganisiert wie auch praxisnah.

2023 hat der erste Jahrgang die Ausbildung abgeschlossen. Die Bilanz: Von den 19 Absolvent:innen sind 13 Personen in einem kleinstrukturierten Gemüsebaubetrieb eingestiegen – 11 davon in einer leitenden Position. Sie fühlen sich kompetent ausgebildet. Die Ausbildung ist vielleicht gerade dank ihrem selbstorganisierten Format erfolgreich. So bildet sie Fachkräfte aus und schafft gleichzeitig eine landesweite Vernetzung zwischen kleinstrukturierten Gemüsebaubetrieben.

Biovision Schweiz F.A.M.E. Setzlingen

Biovision bietet mit der Rubrik «Beispiele für ein nachhaltiges Ernährungssystem» jenen Initiativen und Projekten in der Schweiz eine Bühne, welche ohne unsere Begleitung oder finanzielle Unterstützung ein nachhaltiges Ernährungssystem mitgestalten. Damit zeigen wir, dass zukunftsfähige Lösungen existieren und ein Wandel möglich ist.

F.A.M.E im Internet

Der Boden als Fundament

In der F.A.M.E.-Ausbildung ist die Bodengesundheit ein zentraler Bestandteil. Die Teilnehmenden diskutieren verschiedenste Themen ausführlich, wie die schonende Bearbeitung des Bodens, der Aufbau von Humus und die kontinuierliche Bedeckung durch Mulch oder Untersaaten. Das Bodenmodul bildet das Fundament für die gesamte Ausbildung. Dadurch hebt sich F.A.M.E. von anderen Ausbildungen ab.

Neben der Bodengesundheit thematisiert die Ausbildung Aspekte wie die vielfältige Anbauplanung zur Förderung der Biodiversität und Resilienz sowie verschiedene Formate der Direktvermarktung. Durch diese Lehrinhalte überzeugt das F.A.M.E.-Projekt in Bezug auf Ressourceneffizienz (Prinzipien 1 und 2 in der Grafik) und Resilienz (Prinzipien 3 bis 7).

Gemeinsame Wissensgenerierung

Die Ausbildung ist ein Selbstläufer und baut auf vorherigen Erfahrungen auf. Beispielsweise bleiben Absolvent:innen des ersten Jahrgangs aktiv in den Arbeitsgruppen, um den fortlaufenden Austausch von Erfahrungen zu ermöglichen. Das vermittelte Wissen stammt dabei von verschiedenen Akteur:innen – sei es von den Auszubildenden selbst, aus der Praxis oder in seltenen Fällen auch aus der Wissenschaft. Auf diese Weise schätzt F.A.M.E. verschiedene Wissensformen und Perspektiven und fördert die gemeinsame Wissensgenerierung (Prinzip 8).

Raum für Politisches

F.A.M.E. hat das Ziel, unser Ernährungssystem zu verändern und denkt über den eigenen Garten hinaus. Somit ist F.A.M.E. ein Projekt mit einem hohen politischen Bewusstsein. Soziale Aspekte wie Geschlechterrollen in der Landwirtschaft oder Zugang zu Land sind in der Ausbildung verankert, weshalb das Projekt in Sache Chancengleichheit (Prinzip 10) punktet. F.A.M.E. vermittelt im Gegensatz zur konventionellen Ausbildung nicht nur praktisches Know-how, sondern auch soziale, politische und ethische Aspekte der Landwirtschaft: Offene Diskussionen gehören zum Schulalltag.

Das Spinnendiagramm zeigt die Auswertung des Projekts «F.A.M.E.». Da das Projekt nicht mit Nutztieren arbeitet, ist das Prinzip 4 «Gesundheit der Tiere» nicht anwendbar."

So funktioniert die Bewertung mit B-ACT

Das B-ACT spiegelt die Ausrichtung von Unternehmen, Projekten und Initiativen an den 13 agrarökologischen Prinzipien des «High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition» (HLPE) wider (siehe «Agrarökologie kurz erklärt»).

Dabei ist jedes Prinzip in eines der drei übergeordneten Themen eingeordnet:

  • Erhöhung der Ressourceneffizienz
  • Stärkung der Resilienz
  • Sicherung der sozialen Gerechtigkeit

Zu allen Prinzipien wurden von Biovision in Zusammenarbeit mit Partner:innen Fragen erarbeitet, die in das B-ACT eingebaut wurden. Je mehr Fragen für eine Initiative oder ein Geschäftsmodell positiv beantwortet werden können, desto höher ist der Beitrag zu dem entsprechenden Prinzip.

Illustration des B-ACT Tools auf einem Computer.

Damit punktet das Projekt

  • F.A.M.E. ist eine Initiative, bei der es nicht nur darum geht, Kritik am bestehenden Ausbildungssystem zu üben, sondern eine Lösung anzubieten.
  • Die Ausbildung wurde in enger Zusammenarbeit mit der Praxis entwickelt. Dadurch liegt der Schwerpunkt gezielt auf den Inhalten, die tatsächlich von zentraler Bedeutung für die Arbeit in kleinstrukturierten Gemüsebaubetrieben sind. Durch die vielen Betriebsexkursionen und die Arbeit auf den Feldern sind die Auszubildenden direkt in einem Netzwerk solcher Betriebe eingebettet.
  • Die Ausbildung anerkennt und vermittelt verschiedene Formen des Wissens, wobei besonders das Praxiswissen einen hohen Stellenwert einnimmt.
Biovision_Schweiz_FAME_Fuehrung
Die Auszubildenden bei einer Betriebsexkursion. Bilde: F.A.M.E..

Diese Herausforderungen bestehen für das Projekt

  • F.A.M.E. ist keine anerkannte Ausbildung. Die Gruppe diskutiert Wege, um diese Anerkennung zu erreichen. Eine rasche Lösung zeichnet sich nicht ab. Aktuell sieht die landwirtschaftliche Organisation der Arbeitswelt (OdA) gemäss F.A.M.E. keinen Bedarf an einer weiteren Gemüsegärtner:in-Lehre: Die konventionelle Landwirtschaft sei bereits auf Nachhaltigkeit ausgerichtet und die Ausbildungen sollen nicht getrennt werden. Dies vermag F.A.M.E. nur teilweise nachzuvollziehen, denn: Die herkömmliche Lehre vernachlässigt wichtige ökologische Ausbildungsinhalte, wodurch sie für Personen, die sich für den kleinstrukturierten Gemüsebau interessieren, nicht ansprechend ist. Dies ist einer der Gründe, weshalb im kleinstrukturierten Gemüsebau ein Fachkräftemangel herrscht.
  • Aufgrund der fehlenden Anerkennung der Ausbildung können die Absolvent:innen nicht mit landwirtschaftlichen Direktzahlungen rechnen. Weil die Ausbildung für alle zugänglich sein soll, bleibt sie weiterhin kostenfrei. Dafür ist F.A.M.E. auf Unterstützung von Stiftungen und privaten Gönner:innen angewiesen. Langfristig strebt das Projekt beispielsweise die Gründung eines eigenen Fördervereins an.
  • Die Teilnehmenden müssen die Unterrichtsinhalte in einer sinnvollen Qualität selbstorganisiert aufarbeiten. Dies ist eine Herausforderung, die der erste Jahrgang erfolgreich gemeistert hat. Trotzdem bleibt es wichtig, gerade im selbstorganisierten Kontext die Qualität zu erhalten und über die Jahrgänge weiterzugeben.

Weitere Initiativen

Weitere Beiträge

Landwirtschaft

Ein Rentner-Startup bringt Urgetreide zurück auf den Teller

Auf ihrem 16 Hektaren-Biohof Hintersennweid haben Carmela Total und Peter Waltenspül von reiner Fleischproduktion auf eine vielfältige Produktion umgestellt. Heute bauen sie vernachlässigte Getreidesorten wie Gerste und Polentamais an. So entstand ihr schmackhafter Gerstenburger und die Idee ihres Startups Kornbur GmbH.
Konsum

Ein Zuhause mit Geschmack: Eine Altersheimküche setzt auf Bio

Der Murhof Betreutes Wohnen & Pflege in St. Urban im luzernischen Hinterland ist kein gewöhnliches Altersheim. In Wirklichkeit steckt da eine Menge Pioniercharakter drin. So hat der Murhof 2017 nämlich seine Küche auf Bio umgestellt.
Konsum

Wo Erfindergeist und Pionierhaftigkeit ein Zuhause haben

Der 15 Hektaren Demeter-Betrieb Katzhof im idyllischen Richenthal LU wäre geradezu für die Mutterkuhhaltung prädestiniert: Hügel ziehen sich über das Land und die Anbausaison ist kurz. Dennoch hat sich das Hofpaar für eine vielfältige Landwirtschaft entschieden, die mit Konventionen bricht.
Konsum

In einem Spital beginnt die Nachhaltigkeit bei der Verpflegung

Die Gastronomie des Kantonsspitals Graubünden bietet neu Teigwaren aus der Region und Brötchen aus Bündner Getreide an. Diese Veränderung ist dem Nachhaltigkeitsprojekt Sustineri zu verdanken, das auf Regionalität und Bio setzt.