Eine Oase der Biodiversität in der Magadino-Ebene

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Samira Amos, Biovision. (Bilder: Davide Vismara, Eric Vimercati und Zeno Boila, Seminterra)

In der Magadino-Ebene widmet sich eine Gruppe junger Menschen dem solidarischen Landwirtschaftsprojekt «Seminterra». Damit betreiben sie Pionierarbeit: Die Idee der solidarischen Landwirtschaft ist im Tessin relativ neu.

Das Projekt «Seminterra» im Kurzporträt 

Das Tessin ist von einer zunehmend älteren Gesellschaft geprägt. Viele junge Menschen kehren dem Südkanton wegen der Arbeit oder dem Studium den Rücken zu. Zudem ist es für die neue Generation schwierig, mit innovativen Ideen in die Landwirtschaft einzusteigen – so auch für Seminterra, eine zehnköpfige Gruppe junger Menschen. Doch die Initiator:innen Lidia Selldorf und Eric Vimercati stiessen 2019 auf der Suche nach Land auf Renzo Cattori, ein Pionier des biologischen Landbaus im Tessin. Dieser verpachtete 1,4 Hektar Land an Seminterra.

Heute produziert Seminterra durch ihre Arbeit mit dem Boden nicht nur nachhaltig Lebensmittel, sondern hat auch eine Oase für die lokale Biodiversität und die Bevölkerung geschaffen. Unter anderem baut sie auf dem Grundstück Gemüse, Kräuter, Beeren und Obst sowie Getreide und andere extensiv bewirtschaftete Kulturen an. Die Gruppe ist als Genossenschaft organisiert und orientiert sich an Modellen der solidarischen Landwirtschaft.

Im Mittelpunkt steht ein langfristiger Vertrag zwischen Produzent:innen und Konsument:innen aus der Umgebung. Letztere verpflichten sich mit der Unterzeichnung eines Abonnements für ein Jahr und erhalten wöchentlich einen Korb voll biologischem Gemüse. Sie beteiligen sich finanziell und mit Arbeitseinsätzen am Projekt, und somit an den Risiken und Nutzen. Dadurch werden die Herausforderungen der Marktwirtschaft umgangen und es entsteht Raum für eine kleinstrukturierte und äusserst nachhaltige Landwirtschaft. Das Projekt hat im Tessin Interesse geweckt: 250 Personen sind der Genossenschaft beigetreten.

Biovision Schweiz Seminterra Gruppe

Biovision bietet mit der Rubrik «Beispiele für ein nachhaltiges Ernährungssystem» jenen Initiativen und Projekten in der Schweiz eine Bühne, welche ohne unsere Begleitung oder finanzielle Unterstützung ein nachhaltiges Ernährungssystem mitgestalten. Damit zeigen wir, dass zukunftsfähige Lösungen existieren und ein Wandel möglich ist.

Seminterra im Internet

Seminterra stellt sich vor. Beitrag von RSI.

Schutz der Artenvielfalt

Seminterra zeichnet sich durch eine hohe Effizienz im Umgang mit Ressourcen aus (Prinzip 1 und 2 in der Grafik) und legt grossen Wert auf Resilienz (Prinzip 3 bis 7). Für Seminterra ist es selbstverständlich, den Boden stets bedeckt zu halten, Kompost anstelle von synthetischem Dünger zu verwenden und die Vielfalt auf den Feldern zu fördern.

Auf dem Grundstück gibt es weder einen Stromanschluss noch fliessendes Wasser. Die Bewässerung erfolgt mithilfe einer mechanischen Pumpe und Solarpanels. Das Besondere an Seminterra ist ihre herausragende Förderung der Biodiversität (Prinzip 5). 450 junge Sträucher von 15 einheimischen Arten (wie Holunder und Hundsrose) umgeben das Grundstück als natürliche Hecken und bieten mit ihren Blüten, Beeren und Dornen vielen Vögeln und Insekten einen wertvollen Lebensraum. Darüber hinaus findet man auf den Feldern hochstämmige Obstbäume alter lokaler Sorten sowie verschiedene Ast- und Steinhaufen (Biotope).

Ein Raum für Begegnungen

Das Land von Seminterra grenzt an ein weiteres solidarisches Projekt namens Lortobio. Hier werden gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung unter anderem seltene Arten gepflanzt und bewahrt, Saatgut produziert und die Biodiversität durch Bildungs- und Sensibilisierungsmassnahmen für die örtliche Bevökerung gefördert. Diese Nachbarschaft ermöglicht den Austausch von Werkzeugen, Infrastruktur und Ideen.

 

Neben der engen Zusammenarbeit mit Lortobio pflegt Seminterra auch Partnerschaften mit benachbarten Landwirtschaftsbetrieben, sei es für die Nutzung von Maschinen und Räumlichkeiten oder den Austausch von Mist. Die gemeinsame Wissensgenerierung (Prinzip 8) und Anschlussfähigkeit (Prinzip 11) ist hoch: Seminterra steht zusätzlich in Kontakt mit mehreren Universitäten und Berufsschulen, nimmt an Veranstaltungen in Schulen teil und organisiert Führungen.

Seminterra ist gegen aussen offen und bietet Menschen die Möglichkeit, aktiv das Projekt mitzugestalten. Die Genossenschaft ist kein geschlossenes Kollektiv, sondern ein lebendiges Miteinander. Aus diesem Grund engagieren sich verschiedene Menschen in unterschiedlichen Formaten auf dem Grundstück, manche kommen auch einfach vorbei, um zu helfen und die Schönheit des Ortes zu geniessen. Durch diese vielfältigen Aktivitäten lebt Seminterra eine alternative Landwirtschaft vor und ist durchaus politisch, indem sie den Dialog zwischen den Mitgliedern und Sympathisanten der Genossenschaft betont.

Biovision_Schweiz_Seminterra_B-ACT_Grafik_de
Das Spinnendiagramm zeigt die Auswertung des Projekts «Seminterra». Da das Projekt nicht mit Nutztieren arbeitet, ist das Prinzip 4 «Gesundheit der Tiere» nicht anwendbar."

So funktioniert die Bewertung mit B-ACT

Das B-ACT spiegelt die Ausrichtung von Unternehmen, Projekten und Initiativen an den 13 agrarökologischen Prinzipien des «High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition» (HLPE) wider (siehe «Agrarökologie kurz erklärt»).

Dabei ist jedes Prinzip in eines der drei übergeordneten Themen eingeordnet:

  • Erhöhung der Ressourceneffizienz
  • Stärkung der Resilienz
  • Sicherung der sozialen Gerechtigkeit

Zu allen Prinzipien wurden von Biovision in Zusammenarbeit mit Partner:innen Fragen erarbeitet, die in das B-ACT eingebaut wurden. Je mehr Fragen für eine Initiative oder ein Geschäftsmodell positiv beantwortet werden können, desto höher ist der Beitrag zu dem entsprechenden Prinzip.

Illustration des B-ACT Tools auf einem Computer.

Damit punktet das Projekt

  • Die Idee der solidarischen Landwirtschaft ist im Tessin relativ neu. Seminterra betreibt Pionierarbeit. Die engagierte Gruppe vernetzt sich aktiv mit ähnlichen Initiativen, benachbarten Landwirtschaftsbetrieben und verschiedenen lokalen Organisationen wie ConProBio  (ebenfalls ein erfolgreiches Praxisbeispiel) oder BioTicino. Somit fördert Seminterra eine nachhaltige Form der Landwirtschaft im Kanton Tessin und trägt als aktive Gesprächspartnerin zur Umsetzung der Ernährungssouveränität bei, die das kantonale Stimmvolk 2021 mit 62.2% der Stimmen angenommen hat.
  • Seminterra verbindet Biodiversitätsförderung und Landwirtschaft: Durch ihre ressourcenschonende und vielfältige Bewirtschaftung zeigt die Genossenschaft, dass der Schutz der Biodiversität direkt auf den Feldern, auf denen Lebensmittel angebaut werden, möglich ist. Damit bietet sie eine konkrete Alternative zur «Land sparing»-Debatte, die eine Intensivierung auf den für die Landwirtschaft am besten geeigneten Flächen anstrebt.
Biovision Schweiz Seminterra Setzlinge
Seminterra setzt sich ein für die Erhaltung von alten Sorten ein. Hier sichtbar sind Konsument:innen beim Setzlingsmarkt. Bild: Davide Vismara, Eric Vimercati und Zeno Boila, Seminterra.

Diese Herausforderungen bestehen für das Projekt

  • Viele Bewohner:innen des Tessins leben verstreut in Dörfern, die in relativ abgelegenen Tälern liegen. Ihr Bezug zur Landwirtschaft ist relativ hoch und es finden in vielen Ballungszentren regelmässig bäuerliche Märkte statt: Dadurch bestehen bereits viele Möglichkeiten, Produkte direkt ab Hof zu kaufen. Im Tessin ist es daher schwierig, Menschen mit dem Projekt zu erreichen.
  • Als Genossenschaft wird Seminterra vom Bund nicht als Landwirtschaftsbetrieb anerkannt. Denn das bäuerliche Pacht- und Bodenrecht, Raumplanungsgesetz und Agrarrecht sehen es nicht vor, dass Genossenschaften wie Seminterra Kulturland bewirtschaften. Die Gesetze sind auf die traditionelle Schweizer Bauernfamilie ausgerichtet. Dadurch erhält Seminterra keine Direktzahlungen und kann kein landwirtschaftliches Land kaufen, obwohl sie seit Jahren nachhaltig Lebensmittel produzieren. Daraus ergeben sich verschiedene Schwierigkeiten. So gehören die 1,4 Hektaren Land nicht Seminterra sondern wurde der Genossenschaft verpachtet. Dies führt bei Investitionen in die Infrastruktur oder in die Bepflanzung zu Unsicherheiten.
  • Die Aufrechterhaltung von Seminterra als lebendiger Begegnungsort stellt eine Herausforderung dar. Um die Motivation der Genossenschaftsmitglieder zu erhalten, ist es wichtig, alle über die Fortschritte und Entwicklungen auf dem Land, aber auch über die Ideen und Zukunftspläne der Gruppe zu informieren.

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