Ein Rentner-Startup bringt Urgetreide zurück auf den Teller

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Samira Amos, Biovision (Bilder: Hof Hintersennweid)

Auf ihrem 16 Hektaren-Biohof Hintersennweid haben Carmela Total und Peter Waltenspül von reiner Fleischproduktion auf eine vielfältige Produktion umgestellt. Heute bauen sie vernachlässigte Getreidesorten wie Gerste und Polentamais an. So entstand ihr schmackhafter Gerstenburger und die Idee ihres Startups Kornbur GmbH.

Das Projekt «Hintersennweid» im Kurzporträt 

Im Hofladen des Biohofs Hintersennweid in Neuheim (Zug) finden Kund:innen eine grosse Auswahl an gesunden Lebensmitteln: Polenta, Dinkelmehl, Gersten-Risotto, Kernotto sowie saisonale Produkte wie Kartoffeln, Gemüse, Baumnüsse und Süssmost von den rund 50 Hochstammbäumen. Was in diesem Hofladen selbstverständlich erscheint, ist sonst eher ungewöhnlich. Weizen und Reis machen zwei Dritteln unseres Speisegetreides aus. Urgetreidearten, die über Jahrtausende hinweg die menschliche Ernährung prägten und ernährungsphysiologisch wertvoll sind, dienen heute meist als Tierfutter. Carmela Total und Peter Waltenspül haben es sich zur Aufgabe gemacht, diese vernachlässigten Sorten zurück auf den Teller zu bringen. Dieses Unterfangen ist gar nicht so einfach, denn es mangelt unter anderem an lokalen Weiterverarbeitungs- und Absatzmöglichkeiten.

Um dieses Problem im Falle der Gerste zu lösen, investierte das Paar in eine eigene Mühle. Zunächst lieferten sie ihre Produkte an die Restaurantkette Tibits. Doch als die Restaurants während der Covid-Pandemie schlossen, sahen sie sich gezwungen, neue Absatzmöglichkeiten zu finden. Gemeinsam mit Peters Bruder Werner Waltenspül, einem erfahrenen Koch und Produktentwickler, kreierten sie ein Rezept für einen schmackhaften, veganen Burger. Für die drei war dies der Startschuss für das Start-up Kornbur GmbH.

Biovision bietet mit der Rubrik «Beispiele für ein nachhaltiges Ernährungssystem» jenen Initiativen und Projekten in der Schweiz eine Bühne, welche ohne unsere Begleitung oder finanzielle Unterstützung ein nachhaltiges Ernährungssystem mitgestalten. Damit zeigen wir, dass zukunftsfähige Lösungen existieren und ein Wandel möglich ist.

Hintersennweid im Internet

Tradition trifft Innovation

Mit über 60 Jahren strahlen Carmela Total, Peter und Werner Waltenspül einen bemerkenswerten Tatendrang aus – und eine ungebändigte Lust, einen Beitrag für eine nachhaltige Landwirtschaft zu leisten. Ihr Gersten-Burger ist weit mehr als ein leckeres Bioprodukt. Er bringt das Urgetreide zurück auf den Teller und greift den Trend zu nachhaltiger und gesunder Ernährung auf (Prinzip 9 in der unteren Grafik). Zudem bietet er eine lokale Alternative zu den industriellen Fleischersatzprodukten der Grossverteiler.

Die Produktion des Burgers erfolgt in einer Grossküche ausserhalb des Betriebes. In der Küche wird die Kornbur GmbH tatkräftig von pensionierten Freund:innen unterstützt. Deshalb nennen die Gründer:innen ihre Firma liebevoll eine «Pensioniertenplattform». Inzwischen werden die Burger im Hofladen und in etwa 20 Läden in der Region verkauft.

Auch auf ihrem Hof verbinden Carmela Total und Peter Waltenspühl Althergebrachtes mit Neuem. Die Tierrassen und angebaute Sorten sind standortangepasst und robust, sodass sie generell ohne den Einsatz von Medikamenten respektive Pflanzenschutzmittel auskommen. Die Aussaat vom Getreide das Hacken und Häufeln auf dem Kartoffelfeld erledigt das Paar wie früher mit dem Pferdegespann – dies hat sich besonders im steileren Gelände bewährt. Bei der Ernte der Kartoffeln und Maiskolben setzt das Paar auf die helfenden Hände von Freund:innen und Bekannten statt auf schwere Maschinen. Dies fördert nicht nur die Bodengesundheit (Prinzip 3), sondern reduziert auch den Einsatz von Produktionsmitteln (Prinzip 2) wie Treibstoff – und macht erst noch Spass: Den Abschluss eines erfolgreichen Arbeitstags feiern alle gemeinsam mit einem Fest und schmackhaften Gerstenburgern.

Für mehr Diversität im Zugerland

Die vielfältigen Produkte des Hofs (Prinzip 7) führen zu einer hohen Resilienz. Sollte etwa die Maisernte einmal ungenügend ausfallen, bleiben die Erträge aus anderen Kulturen als Absicherung. Zudem greifen die verschiedene Betriebszweige ineinander, sodass geschlossene Kreisläufe und Synergien (Prinzip 6) entstehen. So dienen die Abfälle aus der Getreideverarbeitung als Futtermittel für die Rinder.

Das Paar ist überzeugt, dass diese Art der Diversifizierung und der Fokus auf Produkte für die menschliche Ernährung zukunftsweisend sind. Ihre Überzeugung geht über den eigenen Hof hinaus: Peter Waltenspül, der die Zuger Biobäuerinnen und -bauern präsidiert, initiierte mit Unterstützung von Bio Suisse eine Interessengemeinschaft (IG) zur Förderung des Ackerbaus im Kanton Zug (Prinzip 12 und 13). Heute arbeiten Landwirt:innen in der IG Bio Zugerland zusammen, um Dinkel und Weizen zu produzieren, vermarkten und zu verkaufen. Die IG koordiniert den Anbau auf den kleinen Feldern der Landwirt:innen im hügeligen Zugerland, und schafft so ein grösseres und zuverlässigeres Angebot. Zudem sucht die IG gemeinsam nach neuen Partner:innen und Absatzkanälen und tauscht Erfahrungen aus.

Das Spinnendiagramm zeigt die Auswertung des Biohofs Hintersennweid und des Start-ups Kornbur GmbH.

So funktioniert die Bewertung mit B-ACT

Das B-ACT spiegelt die Ausrichtung von Unternehmen, Projekten und Initiativen an den 13 agrarökologischen Prinzipien des «High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition» (HLPE) wider (siehe «Agrarökologie kurz erklärt»).

Dabei ist jedes Prinzip in eines der drei übergeordneten Themen eingeordnet:

  • Erhöhung der Ressourceneffizienz
  • Stärkung der Resilienz
  • Sicherung der sozialen Gerechtigkeit

Zu allen Prinzipien wurden von Biovision in Zusammenarbeit mit Partner:innen Fragen erarbeitet, die in das B-ACT eingebaut wurden. Je mehr Fragen für eine Initiative oder ein Geschäftsmodell positiv beantwortet werden können, desto höher ist der Beitrag zu dem entsprechenden Prinzip.

Illustration des B-ACT Tools auf einem Computer.

Damit punktet das Projekt

  • Der Biohof Hintersennweid kombiniert Innovation mit Tradition. Peter Waltenspül und Carmela Total wenden neue Technologien und Methoden dort an, wo sie sinnvoll sind, und setzen auf bewährte Praktiken, wie die Arbeit mit Pferden und die manuelle Ernte mit Helfer:innen. Dies reduziert nicht nur Maschinen- und Treibstoffeinsatz, sondern führt auch dazu, dass es auf ihren Feldern bisweilen lustig zu und her geht.
  • Mit dem Gersten-Burger bringt die Kornbur GmbH Urgetreide auf den Teller zurück und schafft neue Absatzmöglichkeiten für in Vergessenheit geratene Getreidesorten. Das Start-up und die enge Zusammenarbeit des Biohofs mit anderen Landwirten in der IG Bio Zugerland zeigen, dass auch Höfe mit hügeligem Gelände nachhaltige Landwirtschaft betreiben können, die für den menschlichen Direktverzehr produziert.
Die Gründer des Start-ups Kornbur präsentieren ihre veganen Burger aus regionalem Urgetreide.

Diese Herausforderungen bestehen für das Projekt

Die Direktzahlungen für den Getreideanbau sind auf ertragsreiche Ackerflächen im Talgebiet angepasst. Da im Berggebiet die Erträge kleiner sind, ist der Anbau nicht sehr lukrativ. Zusätzlich fehlen lokale Annahmestellen und Verarbeitungsmöglichkeiten für kleine Mengen von Getreide, und Absatzmärkte für Urgetreide wie Gerste, Emmer, Einkorn oder Hafer. Dem wirkt der Biohof Hintersennweid entgegen: Er reinigt, trocknet und verarbeitet das Getreide des Hofs und von Partnerbetrieben gleich selbst.

Eine wichtige Absatzmöglichkeit für Urgetreide aus Bioproduktion wäre die Gastronomie: Trotz der wachsenden Nachfrage nach biologischen Produkten fehlt es in der auswärtigen Verpflegung, besonders in der Gemeinschaftsgastronomie, an klaren Zielvorgaben, um den Absatz von Bio-Produkten zu steigern.

Letztendlich benötigt man Zeit und Geld, um innovative Projekte wie bei der Kornbur GmbH zu realisieren. Der Trend in der Landwirtschaft zu mehr Grösse und stärkerer Mechanisierung hat viele Höfe finanziell stark belastet. Wer sich diesem Druck und den Abhängigkeiten zu entziehen weiss, der behält den Spielraum, um kreativ und innovativ zu arbeiten. So wie es der Biohof Hintersennweid vorlebt.

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