Das Projekt «Herbstzeitlose» im Kurzporträt
Auf dem Hof Obermettlen in Root lässt sich kaum Ackerbau betreiben. Kühe hingegen können auf den Weiden in Hanglagen einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Ernährung leisten – wenn dies tier- und standortgerecht geschieht.
Der solidarische Landwirtschaftsbetrieb arbeitet im Projekt «Herbstzeitlose» mit fünf älteren Mutterkühen der Pro-Specie-Rara-Rasse Rhätisches Grauvieh. Diese Kühe hätten aus verschiedenen Gründen bereits geschlachtet werden sollen, beispielsweise wegen einer Fehlgeburt oder weil sie zu wenig Geld einbringen. Kühe, die nicht ein Kalb pro Jahr gebären, sind für viele Betriebe schlicht nicht rentabel.
Daher rührt der Name «Herbstzeitlose»: Die Herbstzeitlose ist eine einheimische Blume, die im Herbst blüht – also dann, wenn andere Pflanzen lange schon verblüht sind. Dies ist sinnbildlich für die zweite Chance, welche die Kühe auf der Obermettlen erhalten. Dadurch verlängert sich ihre Nutzungsdauer, was sich positiv auf ihre Ökobilanz auswirkt.
Dennoch ist der Betrieb von Marlen und Stephan Koch-Mathis kein Gnadenhof: Das Ziel ist, die steilen Weiden für die Produktion von Lebensmitteln zu nutzen, auf eine standortangepasste, tierfreundliche und rentable Art. Dabei werden auch die Konsumierenden miteinbezogen, in dem sie eine Patenschaft für die neugeborenen Kälber übernehmen. Der solidarische Landwirtschaftsbetrieb verbindet eine nachhaltige Fleischproduktion mit der Sensibilisierung von Konsumierenden.
Biovision bietet mit der Rubrik «Beispiele für ein nachhaltiges Ernährungssystem» jenen Initiativen und Projekten in der Schweiz eine Bühne, welche ohne unsere Begleitung oder finanzielle Unterstützung ein nachhaltiges Ernährungssystem mitgestalten. Damit zeigen wir, dass zukunftsfähige Lösungen existieren und ein Wandel möglich ist.
Herbstzeitlose im Internet
«Herbstzeitlose» stellt sich vor. Video: Klima-Allianz Schweiz, Roman Droux.
«Slow Food» Fleisch aus artgerechter Haltung
Das Projekt punktet mit einer hohen Gesundheit der Tiere (Prinzip 4 in der Grafik). Stichwörter sind beispielsweise eine tiergerechte Haltung (Vollweide und Laufstall), die Verwendung von alternativer Tiermedizin vor Allgemeinmedizin und kein Enthornen. Zudem gilt das Konzept «feed no food»: Die Tiere erhalten ausschliesslich Futter, das auf dem sonst nicht nutzbaren Land gewachsen ist. Entsprechend werden lediglich fünf Mutterkühe und maximal zehn Kälber gehalten. Die Kälber, die auf dem Hof geboren werden, dürfen bei ihrer Mutter bleiben und langsam heranwachsen. Dadurch entsteht sogenanntes «Slow Food» und die Tiere werden erst nach zwei Jahren statt circa einem halben getötet. Zudem bleibt ihnen dank der Hoftötung Stress erspart.
Die Gesundheit der Böden (Prinzip 3) wird ebenfalls erhalten, indem weder zugeführter Dünger noch Pflanzenschutzmittel verwendet werden. Zudem wird die Biodiversität (Prinzip 5) über den Hochstammobstgarten, viele vernetzten Förderflächen, Vogelhäuser von Baumpat:innen, Wildbienenhotels und diversen Strukturelementen gefördert.
Mehr Wertschöpfung pro Tier
Weiter weist das Projekt eine hohe wirtschaftliche Diversifizierung (Prinzip 8) auf. Jedes Kalb erhält bei der Geburt acht Pat:innen. Diese bezahlen zwei Jahren lang einen Franken pro Tag, also je total 730 Franken. Dafür erfahren sie, was hinter einem Bissen Fleisch steckt: Die Pat:innen haben ein Besuchsrecht für ihr Kalb und dürfen an Bauernhoftagen aktiv mitarbeiten. Zudem haben sie 100% Transparenz was die Aufzucht des Kalbs betrifft. Nach der Schlachtung erhalten sie die edlen Teile des Tieres, sowie die Hälfte der restlichen Teile. Die Innereien, Haut und Knochen bleiben auf dem Hof, wo sie weiterverarbeitet werden: beispielsweise zu Ledergürteln, verzierten Schädeln oder für «Nose to tail»-Grillkurse. Dadurch erwirtschaftet der Betrieb pro Kuh eine sechsmal höhere Wertschöpfung als konventionelle Betriebe.
Kopieren ausdrücklich erwünscht
Die Sensibilisierung der Konsumierenden führt zu einer hohen gemeinsamen Wissensgenerierung (Prinzip 8). Zudem wollen Marlen und Stephan Koch-Mathis, dass ihr Konzept kopiert wird. Dafür machen sie beispielsweise Hofführungen, geben Referate und haben ein Coaching-Angebot für andere Landwirt:innen.
So funktioniert die Bewertung mit B-ACT
Das B-ACT spiegelt die Ausrichtung von Unternehmen, Projekten und Initiativen an den 13 agrarökologischen Prinzipien des «High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition» (HLPE) wider (siehe «Agrarökologie kurz erklärt»).
Dabei ist jedes Prinzip in eines der drei übergeordneten Themen eingeordnet:
- Erhöhung der Ressourceneffizienz
- Stärkung der Resilienz
- Sicherung der sozialen Gerechtigkeit
Zu allen Prinzipien wurden von Biovision in Zusammenarbeit mit Partner:innen Fragen erarbeitet, die in das B-ACT eingebaut wurden. Je mehr Fragen für eine Initiative oder ein Geschäftsmodell positiv beantwortet werden können, desto höher ist der Beitrag zu dem entsprechenden Prinzip.
Damit punktet das Projekt
- Die Nutztierproduktion trägt massgeblich zum Klimawandel bei. Ein Paradigmenwechsel ist dringend notwendig. Gleichzeitig sind Kühe für jene Flächen wichtig, die nicht für den Ackerbau geeignet sind. Sie leisten einen grundlegenden Beitrag zur Ernährung in der Schweiz. Dies gilt allerdings nur, wenn die Kühe tier- und standortgerecht gehalten werden. Das Projekt «Herbstzeitlose» trägt dazu bei, diese Debatte differenzierter zu führen: Es ist ein Vorzeigebeispiel für einen nachhaltigen, konsequenten und bewussten Fleischkonsum.
- Die Konsument:innen werden mit ins Boot geholt. Das Projekt «Herbstzeitlose» mit seinem solidarischen Konzept bringt Konsumierende und Produzierende zusammen. Entsprechend ist die Sensibilisierung für einen nachhaltigen Fleischkonsum ein Kernerfolg des Projektes.
- Kopieren ist ausdrücklich erwünscht: Marlen und Stephan Koch-Mathis haben in den letzten zehn Jahren ein Konzept auf die Beine gestellt, das nicht nur nachhaltig ist, sondern auch rentabel – trotz lediglich 6.7 Hektaren und wenig Kühen. Durch die Verwertung des gesamten Tieres – von den edlen Teilen, den Organen bis zum Schädel – erwirtschaftet der Betrieb eine sechsmal höhere Wertschöpfung pro Kuh als konventionelle Betriebe. Nun möchten sie ihr Konzept auch anderen Kleinbetrieben gratis zugänglich machen und den Austausch suchen. So tragen sie dazu bei, gesunde Existenzen aufzubauen.
- Der Betrieb ist sehr resilient. Einerseits wird durch das Patensystem der Preis direkt mit den Konsumierenden festgelegt, wodurch der Betrieb unabhängig vom Marktpreis für Rindfleisch ist. Andererseits ist er unabhängig von Importen wie Futtermittel oder Dünger.
Diese Herausforderungen bestehen für das Projekt
Marlen und Stephan Koch-Mathis wollen nicht, dass ihr Betrieb wächst. Vielmehr wollen sie die Qualität ihrer Produkte und Dienstleistungen vor die Quantität setzen. Dafür haben sie tagtäglich neue Ideen. Diese ständige Weiterentwicklung ist herausfordernd und braucht viel Mut. Inzwischen blickt das Team auf einen langen Weg mit vielen Herausforderungen zurück: Seit über zehn Jahren arbeiten Marlen und Stephan Koch-Mathis an ihrem Herzensprojekt. Heute können sie beweisen, dass eine rentable und nachhaltige Fleischproduktion möglich ist. Nun möchten sie andere Betriebe Schritt für Schritt begleiten und ihr Wissen teilen. Damit sie in diese Beratung investieren können, brauchen sie allerdings ein Minimum an Wertschöpfung. Deshalb sind sie auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten für Erstberatungen.