Die Schweizer Leuchttürme der Agrarökologie

Von

Martin Grossenbacher (Text)

Mit erfolgreichen Praxisbeispielen der Agrarökologie, den sogenannten «Leuchttürmen», zeigt Biovision die Zukunft unseres Ernährungssystems.

«Wir sind zurück zu einer ursprünglichen Form der Hühnerhaltung gegangen und haben das Tierwohl an oberste Stelle gesetzt», erklärt Lukas Glauser die Idee hinter «Huhn im Glück». Regelmässig verschiebt er mit dem Traktor den von ihm selbst entwickelten mobilen Hühnerstall der rund 300 Hühner und Hähne dorthin, wo zwischen den Bäumen das frischeste Gras und die zartesten Kräuter wachsen. Die Küken sind ab dem ersten Tag auf dem Biohof in Wichtrach zwischen Thun und Bern, wo sie in einer grossen Hühnerfamilie zu Legehennen und Bruderhähnen aufwachsen. Dank dieser Art von Hühnerhaltung und der robusten Zweinutzungsrasse brauchen sie weder Impfungen noch Antibiotika oder Medikamente.

Fröhlich unterhalten sich ein Dutzend Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts vor dem kleinen Supermarkt «La Fève» im Quartier Les Vergers in Meyrin. Aus den braunen Papiertüten, die sie bei sich tragen, schauen Lauchstiele und Karottenkraut. Es sind «Locali»-Einkäufe, die sie soeben im genossenschaftlichen Supermarkt abgeholt haben. Jede Tüte enthält frisches Gemüse, Obst sowie – je nach Abo – Brot und Käse aus lokaler Bioproduktion, zusammengestellt nach der Health-Planet-Diät: Die Kund:innen erhalten wöchentlich Lebensmittel, die sowohl gesund sind und fein schmecken als auch gut für den Planeten sind.

Ideen überzeugen in der Praxis

«Huhn im Glück» und der Supermarkt «La Fève», der zum Projekt «Filière alimentaire des Vergers» in Meyrin gehört, sind zwei von rund 20 Leuchttürmen der Agrarökologie, die wir auf biovision.ch im Rahmen des Projekts «Beispiele für ein nachhaltiges Ernährungssystem» ausführlich vorstellen.
«Wir wollen diesen Initiativen, die sonst im Schatten unseres konventionell geprägten Ernährungssystems stehen, eine Bühne bieten. Denn nichts ist so überzeugend wie eine Idee, die in der Praxis funktioniert», erklärt die Umweltnaturwissenschaftlerin Samira Amos die Absicht hinter dem Projekt.

Die vorgestellten Betriebe und Unternehmen sind aus allen Sprachregionen der Schweiz und entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Sie berücksichtigen die Prinzipien der Agrarökologie auf besonders ganzheitliche und innovative Art. Sie wirtschaften beispielsweise besonders umweltfreundlich, ohne Pestizide oder synthetischen Dünger. Dabei achten sie gleichzeitig auf soziale und Gerechtigkeitsfragen und nehmen diese Aspekte in ihrer Arbeit auf. Als Leuchttürme der Agrarökologie wurden Initiativen ausgewählt, die Lösungsansätze für aktuelle Herausforderungen aufzeigen, wie Ernährungsumstellung oder Food-Waste. In diesem Sommer haben wir auf unserer Website 18 Leuchttürme aufgeschaltet, in den nächsten Monaten kommen weitere hinzu.

Die Schweizer Leuchtturmprojekte wurden mit dem Business Agroecology Tool auf ihren Anteil Agrarökologie bewertet.

Faktenbasierte Diskussion ermöglichen

Die Bewertung der Leuchttürme der Agrarökologie erfolgte mit dem von Biovision entwickelten B-ACT-Tool. Es ermöglicht, vereinfacht ausgedrückt, zu untersuchen, wie viel Agrarökologie in einem Betrieb steckt. So zeigen wir auf, wie Agrarökologie zu nachhaltigen Ernährungssystemen beiträgt – und weshalb konventionelle Betriebe dazu nicht imstande sind. So ermöglichen die Leuchtturmprojekte eine faktenbasierte Diskussion. Sie sollen aber auch Konsumentinnen und Konsumenten informieren und inspirieren.

«Agrarökologie ist in der Praxis angekommen! Aber viele Projekte kämpfen mit den schlechten Rahmenbedingungen», hat Samira Amos bei der Auswahl der Leucht- türme herausgefunden: «Die heutige Landwirtschaftspolitik ist ungenügend auf agrar- ökologische Innovation und Vielfalt ausgerichtet. Bessere Rahmenbedingungen für Agrarökologie sind jedoch eine zentrale Grundlage für eine nachhaltige Schweizer Ernährungszukunft.»

Übersicht über die Leuchttürme der Agrarökologie

«Leuchttürme der Agrarökologie» – was sie auszeichnet, wer sie sind...

Landwirtschaft
Saatgut mit kurzer Lieferkette
Ein lokaler Saatguthersteller und ein Setzlingsproduzent in Genf haben sich mit Bäuerinnen und Bauern zu einem Verein zusammengeschlossen. Diese in der Schweiz einzigartige Initiative hat das Ziel, die Kontrolle über die Saatgutproduktion zurückzugewinnen.
Landwirtschaft
Wenn die Forschung auf die Erbse kommt
Wie sieht die Landwirtschaft der Zukunft aus, wenn Extremwetter wie Trockenheit und Starkregen zunehmen? Welche Pflanzen unterstützen uns in dieser Herausforderung? Das Forschungsprojekt IntegraL hat eine klare Antwort: Körnerleguminosen wie Erbsen, Linsen und Bohnen gehören zurück auf unsere Felder und Teller.
Landwirtschaft
Ein Rentner-Startup bringt Urgetreide zurück auf den Teller
Auf ihrem 16 Hektaren-Biohof Hintersennweid haben Carmela Total und Peter Waltenspül von reiner Fleischproduktion auf eine vielfältige Produktion umgestellt. Heute bauen sie vernachlässigte Getreidesorten wie Gerste und Polentamais an. So entstand ihr schmackhafter Gerstenburger und die Idee ihres Startups Kornbur GmbH.
Konsum
Ein Zuhause mit Geschmack: Eine Altersheimküche setzt auf Bio
Der Murhof Betreutes Wohnen & Pflege in St. Urban im luzernischen Hinterland ist kein gewöhnliches Altersheim. In Wirklichkeit steckt da eine Menge Pioniercharakter drin. So hat der Murhof 2017 nämlich seine Küche auf Bio umgestellt.
Konsum
Wo Erfindergeist und Pionierhaftigkeit ein Zuhause haben
Der 15 Hektaren Demeter-Betrieb Katzhof im idyllischen Richenthal LU wäre geradezu für die Mutterkuhhaltung prädestiniert: Hügel ziehen sich über das Land und die Anbausaison ist kurz. Dennoch hat sich das Hofpaar für eine vielfältige Landwirtschaft entschieden, die mit Konventionen bricht.
Konsum
In einem Spital beginnt die Nachhaltigkeit bei der Verpflegung
Die Gastronomie des Kantonsspitals Graubünden bietet neu Teigwaren aus der Region und Brötchen aus Bündner Getreide an. Diese Veränderung ist dem Nachhaltigkeitsprojekt Sustineri zu verdanken, das auf Regionalität und Bio setzt.
Konsum
Der Schrei der Karotte: Mit Convenience-Artikeln für soziale Gerechtigkeit
Ursprünglich war Emma Azconegui Laborantin, jetzt ist sie Köchin und Gründerin der Konservierungsmanufaktur «Le Cri de la Carotte» (auf deutsch: Der Schrei der Karotte). Dort setzt sie sich gegen Food Waste und Ungerechtigkeiten ein.
Wissen
Die Schweizer Leuchttürme der Agrarökologie
Mit erfolgreichen Praxisbeispielen der Agrarökologie, den sogenannten «Leuchttürmen», zeigt Biovision die Zukunft unseres Ernährungssystems.
Landwirtschaft
Wo der Mut zur Veränderung gelebt wird
Rund 11 Hektaren umfasst der Demeter-Hof Faver in Wallenbuch. In Zusammenarbeit mit dem Verein für solidarischen Landwirtschaft TaPatate! hat sich der Betrieb in den letzten Jahren in vielerlei Hinsichten verändert.
Konsum
Gemeinschaftliche Lebensmittelversorgung im Quartier
Die rampe5 ist eine Bio-Lebensmittelkooperative der Genossenschaft Grassrooted im Zürcher Kreis 4 mit sozial und ökologisch nachhaltigen Lebensmitteln für den täglichen Gebrauch. Dabei gestalten die Konsumierenden die Kooperative mit und was an der Kasse für die Lebensmittel bezahlt wird, geht grösstenteils direkt an die Produzierenden.
Landwirtschaft
Ein Agrarökosystem mit Vorzeigecharakter
Der biodynamische Betrieb «Gut Rheinau» setzt sich stark für die Bodenfruchtbarkeit, das Tierwohl und menschliche Werte ein. Die Produkte werden im eigenen Hofladen, auf dem Markt, via Bio-Läden, Restaurants oder Lebensmittel-Kooperativen direkt vermarktet.
Konsum
Ein Kanton setzt auf regionale Produkte
Im Wallis kochen Gastronomiebetriebe vermehrt mit regionalen, gesunden und wenig verarbeiteten Lebensmitteln zu fairen Preisen. Das ist die Kernidee des Projektes «Regional kochen» der kantonalen Dienststelle für Landwirtschaft. Mitmachen ist dabei nicht Ehrensache, sondern Vorschrift.
Konsum
Viele Nüsse für einen Burger
Haselnüsse und andere regionale Lebensmittel aus dem Aargau und Nachbarkantonen sind die Zutaten für den Hazelburger. Der Burger ist jedoch mehr als ein Nahrungsmittel: Er verkörpert ein Versuch, die Haselnuss in einem nachhaltigen und gerechten Anbausystem in der Schweiz zu fördern.
Landwirtschaft
Eine Oase der Biodiversität in der Magadino-Ebene
In der Magadino-Ebene widmet sich eine Gruppe junger Menschen dem solidarischen Landwirtschaftsprojekt «Seminterra». Damit betreiben sie Pionierarbeit: Die Idee der solidarischen Landwirtschaft ist im Tessin relativ neu.
Konsum
Das Gourmet-Restaurant mit dem eigenen Bergacker
Das Restaurant «Scalottas Terroir» in Lenzerheide bringt mit Neuinterpretationen der alpinen Küche regionale Identität auf den Teller. Zudem strebt es nach Nachhaltigkeit und Fairness gegenüber den Produzent:innen.
Landwirtschaft
Selbstorganisierte Ausbildung in Öko-Gemüsebau
Bei dieser Ausbildung legen die Auszubildende selber Hand an und gestalten eine vielfältige, kleinstrukturierte Landwirtschaft mit. Bedauerlicherweise fehlt die Anerkennung für diesen Abschluss, obschon in diesem Bereich ein Fachkräftemangel besteht.
Konsum
Tessiner Bio-Produkte aus der Nachbarschaft
Im Tessin haben sich Produzent:innen und Konsument:innen bereits vor über 30 Jahren zusammengeschlossen, um biologische Lebensmittel zu fördern. Und die Erfolgsgeschichte dauert an.
Konsum
Mit einer Bergkäserei Widerstand leisten
Die Bergkäserei Spitzenbühl in Baselland produziert auf 650 m.ü.M. Milchprodukte. Sie zeichnet sich durch eine solidarische und genossenschaftliche Organisation aus, die faire Preise und Selbstbestimmung in den Mittelpunkt stellt.
Landwirtschaft
Mit Bäumen fürs Klima und Tierwohl
Der Hof Adlerzart in Oberrüti AG kombiniert landwirtschaftliche Produktion mit dem Anbau von Bäumen oder Sträuchern auf derselben Fläche. Mit diesem Agroforstsystem schafft er eine Oase, in der Tiere und Menschen sich wohl fühlen.
Konsum
Erfolg mit Biodiversität im Weinbau
Karin und Roland Lenz haben die letzten zehn Jahre darin investiert, auf ihrem Weingut in Uesslingen die Biodiversität zu fördern. Heute ist der 27 Hektar grosse Betrieb mit zehn Mitarbeitenden der lebende Beweis dafür, dass die Förderung der Biodiversität nicht nur der Natur, sondern auch dem Geldbeutel zu Gute kommt.
Konsum
Ein Friedensbiotop in den Bergen
Im Berner Kiental liegt auf 960 Metern über Meer der Naturhof. Zwischen Niesen und Blüemlisalp bewirtschaftet ein Team zwei Hektaren Land nach den Prinzipien der Permakultur. Diese nimmt sich natürliche und lokale Ökosysteme als Vorbild und schafft geschlossene Kreisläufe.
Konsum
Das Quartier als lokales Ernährungssystem
Im Quartier Les Vergers in Meyrin kommen Essen und Wohnen zusammen: Die Bewohner:innen produzieren, verarbeiten, verteilen und verbrauchen Lebensmittel im Quartier selbst. So schaffen sie eine Alternative zum industriellen Ernährungssystem.
Landwirtschaft
Mit Herz für einen nachhaltigen Fleischkonsum
Eigentlich ist der Hof Obermettlen in Root mit 6.7 Hektaren und fünf Kühen zu klein. Doch mit Einbezug der Konsumierenden ist der Hof ein Vorzeigebeispiel für eine nachhaltige und tiergerechte Landwirtschaft.
Konsum
Foodoo: Aus Abfall wird Gaumenschmauss
Foodoo macht Food Waste zum Geschmackserlebnis. Im Vordergrund steht dabei die Wertschätzung gegenüber den Lebensmitteln und den Landwirt:innen, die sie produzieren.
Konsum
Fabas: Für eine konsequent lokale Ernährung
Von der Umstellung auf eine pflanzliche Ernährung können alle profitieren. Das Zürcher Unternehmen Fabas baut mit Schweizer Landwirt:innen Hülsenfrüchte an und produziert daraus Hummus, Burger aus Bohnen und Falafel – lokal und verantwortungsvoll gegenüber Mensch und Natur.
Landwirtschaft
Robuste Zweinutzungsrassen für mehr Tierwohl
Der Biohof Glauser im bernischen Wichtrach setzt auf eine nachhaltige und robuste Hühnerrasse, die Eier legen und auch Fleisch ansetzen. Dies verbindet er mit einem hohen Tierwohl und einem innovativen Vermarktungskonzept.
Landwirtschaft
High-Tech revolutioniert Mischkulturen
In Grossaffoltern (BE) wird die Landwirtschaft neu gedacht: Mischkulturen werden auf dem Bio-Hof Farngut maschinell kreisförmig angelegt anstatt in Reihen. Die notwendige Technik entwickelte Bauer Markus Bucher mit dem Förderverein Honesta selber.

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Ein nachhaltiges Festtagsmenü zaubern

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