Loredana, die internationale Zusammenarbeit wird seit Monaten im ganzen Land diskutiert. Budgetkürzungen für NGOs wie Biovision sind beschlossen. Wie blickst du auf die Debatte?
Zwiegespalten, würde ich sagen. Ich denke, dass in letzter Zeit zum Teil doch recht realitätsfremde Debatten etwa im Schweizer Parlament geführt wurden. Und diese beeinflussen natürlich auch die öffentliche Wahrnehmung und die Diskussion in der breiten Bevölkerung.
Weshalb «realitätsfremd»?
Weil bei der – zum Teil auch berechtigten – kritischen Diskussion allzu gerne Dinge miteinander verglichen werden, die wirklich rein gar nichts miteinander zu tun haben. Ich kritisiere deshalb auch nicht, wo oder wie jetzt Geld zusätzlich eingesetzt werden soll. Ich kritisiere, dass man finanzielle Mittel vergleicht oder gegeneinander ausspielt, die aus komplett unterschiedlichen Töpfen stammen und auch unterschiedliche Ziele verfolgen.
Über Loredana Sorg
Loredana Sorg ist bei Biovision Co-Bereichsleiterin für Internationale Partnerschaften und Mitglied der Geschäftsleitung
Kannst du das genauer erklären?
Da ist zum einen die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen diverser Staaten als wichtiger Bereich der internationalen Zusammenarbeit. Hier geht es konkret darum, die Lebensqualität von Menschen – sozial, wirtschaftlich, ökologisch – zu verbessern. Dafür arbeitet die Schweiz mit anderen Ländern oder mit Institutionen in anderen Ländern direkt zusammen. Betonung auf Zusammenarbeit. Es geht nicht darum, top-down aus der Schweiz unser eigenes Programm durchzusetzen. Neben diesen Aktivitäten gibt es die humanitäre Hilfe, Stichwort: Ukraine. Die ist natürlich unfassbar wichtig und auch eine Pflicht für uns. Gleichzeitig ergibt es meiner Meinung nach wenig Sinn, jetzt zu sagen, dass wir deshalb langfristige Projekte und die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Institutionen anderer Staaten weltweit kippen dürfen.
Warum ist die internationale Zusammenarbeit deiner Meinung nach so wichtig?
Ohne Internationale Zusammenarbeit schaut jeder Staat für sich und entwickelt Lösungen oft isoliert und ohne die Vorteile des globalen Austauschs. Doch in einer globalisierten und komplexen Welt hängt das Wohl einzelner Länder zunehmend von internationalen Verbindungen ab. Die Verknüpfung von Wissen, Ressourcen und Erfahrungen zwischen Ost und West, Nord und Süd ist dabei entscheidend: Eine konstruktive Zusammenarbeit schafft die Grundlage dafür, dass alle Regionen Zugang zu nachhaltigen Lösungen haben und Herausforderungen gemeinsam bewältigt werden können.
Kannst du das konkret am Beispiel von Biovision erklären?
Bei Biovision ist unser Ziel, Menschen und Organisationen in unseren Partnerländern, primär in Ostafrika, dabei zu unterstützen, ihr Engagement für ein nachhaltigeres Ernährungssystem, also genug gesunde Nahrung für alle in einer gesunden Umwelt, bestmöglich umsetzen zu können. Dies beinhaltet einerseits die finanzielle Unterstützung, insbesondere in den Anfangsphasen eines Projekts oder in der Übergangsphase eines Forschungs- zu einem Umsetzungsprojekt in der Landwirtschaft. Andererseits auch den fachlichen Austausch zu agrarökologischen Inhalten, zu Projektmanagement und Wirkungsmessung. Je nach Bedarf vernetzen wir unsere Partnerorganisationen mit internationalen Fachinstitutionen oder mit grösseren Geldgebenden.
Loredana Sorg, Co-Bereichsleiterin Internationale Partnerschaften
Die Kritiker der internationalen Zusammenarbeit argumentieren hier gerne, man solle sich nicht in fremde Angelegenheiten einmischen. Der «Markt» würde dies schon regeln.
Man kann nicht erwarten, die Vorteile einer vernetzten Welt zu nutzen, ohne gleichzeitig eine gewisse Verantwortung zu übernehmen. Internationale Zusammenarbeit bedeutet nicht, sich in fremde Angelegenheiten einzumischen, sondern vielmehr dazu beizutragen, dass alle an den Möglichkeiten teilhaben können, die die Globalisierung bietet. Wenn wir nur nehmen, ohne zu geben, vergrössern wir Ungleichgewichte, anstatt zu einem fairen Austausch beizutragen. Und ausserdem: Auch in der Schweiz benötigen innovative Projekte externe Finanzierung. Wenn eine Käsereigenossenschaft in einem Schweizer Bergtal ein regionales Agrarökologie-Projekt zur ökologisch nachhaltigen und wirtschaftlich erfolgreichen Regionalentwicklung umsetzen möchte, gibt es verschiedene staatliche und zivilgesellschaftliche Töpfe. Solche Finanzierungsquellen sind in unseren Partnerländern einfach rar – die finanzielle Unterstützung, insbesondere für Projektideen, die nicht den grossen, oft ausländischen Agrarkonzernen, sondern tatsächlich der Bevölkerung, also der ganzen Gesellschaft, zugutekommen, ist häufig vor Ort nicht vorhanden, sondern stammt von gleichgesinnten, internationalen Organisationen wie etwa Biovision.
Kannst du erklären, welche Rolle die DEZA, also die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, in diesem Zusammenhang spielt?
Die DEZA hat nach wie vor eine zentrale Rolle, auch wenn sie seit Jahren unter Beschuss steht und um ihr Budget kämpfen muss. Zum einen schafft sie Räume, in denen sich Schweizer NGOs austauschen und voneinander lernen, sie vernetzt, setzt Standards und hinterfragt kritisch. Zum anderen ist sie ein verlässlicher und wichtiger Finanzierungspartner. Sie gibt NGOs wie Biovision Kernbeiträge, die wir flexibel im Rahmen unseres internationalen Programms einsetzen können, und zwar dort, wo sie unserer Meinung nach die grösste Wirkung haben.
Seit Anfang Jahr sind Budgetkürzungen in diesem Bereich angekündigt. Wie lautet der aktuelle Stand?
Fakt ist, dass wir ab 2025 mit weniger finanzieller Unterstützung vonseiten der DEZA rechnen müssen. Die genaue Höhe wird Ende Jahr erwartet, das grobe Ausmass ist aber mehr oder weniger klar. Die zu erwartende Höhe der Kürzungen stellt viele NGOs– wie auch Biovision – vor Herausforderungen.
Obwohl die DEZA nicht der einzige Geldgeber für Biovision ist.
Das stimmt. Neben den Geldern aus öffentlicher Hand arbeiten wir auch eng mit Stiftungen zusammen, die uns unterstützen wollen. Und daneben steht dann die langjährig wichtigste Basis für uns: Tausende von Gönnerinnen und Gönnern, die von unserer Arbeit überzeugt sind und uns deshalb finanziell helfen. Was die aktuelle Lage in der Entwicklungszusammenarbeit derzeit noch problematischer macht: Auch die Höhe dieser Spenden ist in den letzten Jahren zurückgegangen.
Woher kommt das?
Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und es gibt die verschiedensten Mutmassungen. Die wirtschaftlich und politisch unsicheren Zeiten, die multiplen Krisen sowie die Inflation spielen sicher eine Rolle. Ich glaube zudem, dass dies mit der öffentlichen Wahrnehmung der internationalen Zusammenarbeit zusammenhängt. Und den teils sehr diffamierenden Debatten im Parlament. Darunter leidet natürlich die Reputation von Organisationen, die in diesem Sektor arbeiten. Obwohl die Leute nach wie vor genau so viel Einsatz zeigen, genauso gewissenhaft und kreativ an Lösungen arbeiten, um wirklich einen Unterschied in dieser Welt zu machen. Aber die doch relativ negative Berichterstattung der letzten Monate und Jahre hat die Menschen beeinflusst. Und das spürt man.
Die kritischen Stimmen sind also fehl am Platz?
Kritik ist per se immer richtig und wichtig. Sie hilft, auf Ineffizienzen, Ungerechtigkeiten oder unklare Prozesse aufmerksam zu machen, sie führt zu Debatten und dazu, dass Sachen hinterfragt und verbessert werden. Wenn aber die Kritik und die politischen Folgen derart in die Handlungsmöglichkeiten der Organisationen eingreifen, dass sie die Arbeit verunmöglichen oder zumindest enorm erschweren, dann muss man sich schon fragen, ob hier nicht vielleicht mit zweierlei Mass gemessen wird.
Loredana Sorg, Co-Bereichsleiterin Internationale Partnerschaften
Wie meinst du das?
Ich habe das Gefühl, dass in der Entwicklungszusammenarbeit eine strikte Null-Toleranz-Devise gilt. Fehler werden – anders als etwa in der Privatwirtschaft oder beim Staat – partout nicht toleriert. Und natürlich gibt es auch unter den NGOs schwarze Schafe, natürlich gab es in den letzten Jahren vereinzelt auch Skandale, die aufgedeckt und zurecht angeprangert wurden. Aber es ist nun mal illusorisch zu fordern, dass 100% der Projekte perfekt funktionieren; es gibt vereinzelt Projekte, die nicht wie gewollt aufgehen. Das ist die Realität. Aus solchen Ereignissen lernt man aber auch, man wird besser und besser. Und ja, vielleicht haben es Organisationen wie Biovision in den letzten Jahren auch teils versäumt, noch klarer aufzuzeigen, wie Internationale Zusammenarbeit abläuft, wie gewissenhaft wir Projektfortschritte monitoren, welchen konkreten Einfluss die Projekte haben. Fakt ist: Die Institutionen der internationalen Zusammenarbeit betreiben, insbesondere verglichen mit gewissen anderen Sektoren, ein sehr effektives Wirkungsmonitoring und legen konstant Rechenschaft über den Einsatz ihrer Gelder ab. Diese offene Kommunikationskultur erlaubt uns, von Erfolgen und Misserfolgen zu lernen und Fehler nicht zu wiederholen.
Welche Auswirkungen haben die voraussichtlichen Geringeinnahmen auf die Arbeit von Biovision konkret?
Wir sind bei Biovision in einer Situation, in der wir jetzt ganz genau überlegen müssen, wie es in den nächsten Jahren weitergehen soll. Es wird schwierig, gleich hohe Finanzierungsmöglichkeiten zu erwirtschaften, also müssen wir nicht nur unsere Budgets für die einzelnen Projekte, sondern auch unsere strategische Priorisierung laufend anpassen. Ein herausfordernder Prozess.
Wie läuft dieser Prozess ab?
Wir sind in einem noch engeren Austausch mit unseren Partnern weltweit. Wir schauen, wie wir einzelne Projekte mit geringerem Budget durchführen können. Viele werden in abgespeckter Form in die nächsten Jahre gehen, andere werden fürs Erste verschoben. Und ja, einige Projekte werden wir einstellen müssen. Unsere oberste Prämisse bei diesen Überlegungen ist und bleibt: Wir wollen verhindern, dass die eigentlichen Zielgruppen unserer Projekte – Bäuerinnen und Bauern, Hirten, Konsumentinnen – im Regen stehen bleiben, etwa weil wir ein Projekt zu früh abbrechen oder nun etwas anreissen, von dem wir nicht garantieren können, dass es bis zum Erreichen des Projektziels finanzierbar ist.
Klingt nach einer herausfordernden Aufgabe.
Absolut. Diese doch recht abrupten Einschnitte in unseren Budgetplanungen stellen uns vor nicht einfache Aufgaben. Vor allem, weil gerade in unserem Sektor eine langfristige und sichere Planung so wichtig ist.
Wie meinst du das?
Normalerweise planen wir in Projektphasen von drei bis vier Jahren. Das heisst, wir stellen ein Budget auf und richten unsere Strategie dementsprechend aus. Diese Strategie wird dann auch mit unseren Projektpartnern vor Ort abgestimmt. Wenn jedoch von einem Jahr aufs nächste nicht mehr die geplanten Mittel zur Verfügung stehen, müssen auch unsere Partner reagieren: Einsparungen vornehmen, Projekte verkleinern oder – im Extremfall – Mitarbeitende entlassen.
Wieso schaut man dann nicht eher von Jahr zu Jahr? Würde es das nicht einfacher machen?
Das ist in unserer Arbeit einfach nicht realistisch. Wir arbeiten vor allem mit natürlichen Prozessen, die per se länger dauern. Ein Baum braucht Jahre, bis er Früchte trägt, Böden lassen sich nicht in wenigen Monaten regenerieren, und Anbautechniken ändern sich nicht von heute auf morgen. Hier geht es um Prozesse, die über Jahre laufen. Ein gut durchdachtes, neu aufgesetztes Projekt nach zwei Jahren zu beenden, weil das Geld fehlt, wäre fatal für die Leute, die den Weg mit uns gehen – Bauerngruppen, Hirtenfamilien, Konsumentinnen. Die stabilen Budgets und die Gelder der DEZA sind für unsere Planungssicherheit essenziell, weil wir Zeit brauchen, um diese langfristigen Prozesse auch zielführend und nachhaltig zu etablieren.
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Es gibt oft Kritik, dass durch solche Prozesse Abhängigkeiten geschaffen werden. Was sagst du dazu?
Ein Vorwurf, dem ich, zumindest in unserem Fall, vehement widersprechen muss. Langjährige Projekte werden oft zu schnell in die Schublade «Abhängigkeit» gesteckt. Damit sich unsere Partnerorganisationen und ihre Projekte gesund und nachhaltig entwickeln und am Ende selbstständig funktionieren können, brauchen sie für den Anfang Stabilität und jemanden, auf den sie sich – auch finanziell – eine Zeit lang verlassen können. Vor allem in dem Bereich, wo wir arbeiten. Auf agrarökologische Prozesse umzustellen, Anbausysteme anzupassen, zu erforschen, zu verbessern, neue Einkommensquellen zu generieren, das alles dauert Jahre. Gleichzeitig verfolgen wir von Beginn weg das Ziel, den Menschen und Organisationen, die mit uns zusammenarbeiten, von Anfang an Werkzeuge in die Hand zu geben, um auch ohne uns weiterzuarbeiten, wenn das Fundament gelegt ist. Dies beinhaltet eine eigenständige Verbreitung von Wissen, den Zugang zu diversifizierten Finanzierungsmechanismen und ein breites Netzwerk an hilfreichen Kontakten.
Gibt es auch Entwicklungen, die dir Hoffnung machen?
Ich habe am Anfang gesagt, dass ich ein wenig zwiegespalten auf die Debatte blicke. Was sicher positiv ist, ist dass sich viel mehr Leute als in den Jahren davor mit dem Thema auseinandersetzen. Ja, gerade überwiegt die negative Kritik, aber sowas kann sich – wenn die Leute gewissenhaft darüber diskutieren und verstehen, wie wichtig diese Arbeit ist – ändern. Optimistisch gesagt: Die aktuelle Debatte, die finanziellen Einschnitte ausgenommen, könnte der Entwicklungszusammenarbeit längerfristig vielleicht sogar guttun. Es gibt an manchen Stellen sicher Reformbedarf und wenn wir zusammen an einer internationalen Zusammenarbeit arbeiten, die sich der heutigen Welt noch besser anpasst, dann kann sie wieder diesen so wichtigen Platz in unserer Gesellschaft einnehmen.
Was meinst du mit Reformbedarf?
Es gibt einzelne Stellschrauben, an denen man drehen könnte, um noch mehr Wirkung zu erreichen. Für mich ist es aber auf keinen Fall eine Lösung zu sagen: «Manches läuft nicht perfekt, wir streichen jetzt alle Gelder und fertig.» Die Internationale Zusammenarbeit ist immer noch etwas vom Allernötigsten überhaupt. Wenn es uns gelingt, mit dem Druck und dem Hinterfragen von ganz vielen Schweizerinnen und Schweizern, das Ganze ein wenig neu zu denken, dann habe ich Hoffnung. Beispielsweise befürworten gemäss einer Umfrage des Zentrums für Entwicklung und Zusammenarbeit der ETH (NADEL) von 2023 58% der Schweizer Bevölkerung eine Erhöhung der Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit. Wir müssen auch über Misserfolge in unserer Arbeit sprechen, wir müssen neue Modelle ausprobieren. Und ich hoffe, dass wir bei Biovision auch eine Vorreiterrolle einnehmen werden, wie wir es in der Vergangenheit schon häufig getan haben.
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