Viele verbinden den Kampf gegen Landdegradierung mit konkreten Massnahmen wie dem Pflanzen von Bäumen. Warum ist politische Arbeit genauso wichtig?
Charlotte Pavageau: Weil Landdegradierung kein isoliertes Umweltproblem ist, sondern ein systemisches. Sie wird angetrieben durch Entwaldung, industrielle Landwirtschaft und nicht nachhaltige Landnutzung – und diese wiederum sind oft das Ergebnis wirtschaftlicher und politischer Entscheidungen. Ohne politische Rahmenbedingungen bleiben selbst die besten Projekte vor Ort nur einzelne Erfolge, die sich nicht ausweiten lassen.
Wofür setzt sich das Team Policy & Advocacy von Biovision ein?
Wir kämpfen auf nationaler und internationaler Ebene für agrarökologische Lösungen. National zum Beispiel in vielen Ländern Ostafrikas, insbesondere in Kenia, Tansania und Uganda. Wir unterstützen Regierungen bei politischen Massnahmen für den Übergang zur Agrarökologie, setzen uns für Reformen in der Ausbildung ein und fördern Märkte für nachhaltige Lebensmittel.
über Charlotte Pavageau
Charlotte Pavageau ist Senior Programmverantwortliche Policy & Advocacy bei Biovision
Und international?
Auf internationaler Ebene arbeiten wir daran, Agrarökologie als festen Bestandteil in politischen Debatten zu verankern. Ein gutes Beispiel dafür ist die UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung. Während der COP16-Konferenz in Saudi-Arabien haben wir erfolgreich darauf hingewirkt, dass Agrarökologie offiziell als Instrument zur Bekämpfung von Landdegradierung anerkannt wurde. Solche Erfolge sind entscheidend für nachhaltige Landwirtschaft weltweit und innerhalb einzelner Staaten.
Welche Rolle spielt das Policy & Advocacy-Team von Biovision in diesen Prozessen?
Wir verstehen uns als Brücke zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik. Unsere Aufgabe ist es, Entscheidungstragenden die Dringlichkeit des Problems zu vermitteln – und ihnen wissenschaftlich fundierte, nachhaltige Alternativen zur konventionellen Landwirtschaft aufzuzeigen. Wir sammeln und analysieren Forschungsergebnisse darüber, wie Agrarökologie dazu beitragen kann, geschädigte Böden wiederherzustellen, Erträge zu steigern und die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen. Diese Erkenntnisse bringen wir gezielt in politische Dialoge ein und setzen uns bei Regierungen, Geldgebenden und Institutionen für die nötigen Rahmenbedingungen ein.
Warum sind politische Massnahmen so dringlich?
Weil wir vor einem riesigen Problem stehen: Zwischen 2015 und 2019 wurden 100 Millionen Hektar fruchtbares Land zerstört – eine Fläche, die 25-mal so gross ist wie die Schweiz. Davon betroffen sind 1,3 Milliarden Menschen. Agrarökologie kann hier enorme Hilfe leisten, sie ist der Schlüssel zur Wiederherstellung fruchtbarer Böden. Dafür gibt es bereits heute beeindrucke Erfolgsgeschichten.
Zum Beispiel?
Ein gutes Beispiel ist Burkina Faso. Dort wurden früher Ackerbau, Viehhaltung und kleine Wälder kombiniert, was den Boden stabilisierte und Wasser speicherte. Doch Urbanisierung, Abholzung und intensive Landwirtschaft haben dieses System extrem geschwächt. So sind heute laut Schätzungen 31 Prozent der Bodenressourcen des Landes verlorengegangen.
Und was kann Agrarökologie hier beitragen?
Eine von Biovision mitfinanzierte Studie untersuchte, ob sich die Kombination von Nutzpflanzen wie Hirse, Sorghum und Mais mit Baumarten wie Shea oder Baobab positiv auf die Wiederherstellung degradierter Flächen in Burkina Faso auswirken könnte. Die Studie verglich Gebiete mit niedriger Baumdichte mit solchen, in denen 50 oder mehr Bäume pro Hektar gepflanzt wurden. Die Ergebnisse waren beeindruckend: In den agrarökologischen Flächen stieg die Bodenfeuchtigkeit, die Wasserspeicherung verbesserte sich und der Boden blieb stabiler. Auch wirtschaftlich zeigte sich ein Mehrwert von über 30 Prozent. Die Studie liefert damit konkrete Belege, die politische Entscheidungstragende überzeugen können, Agrarökologie als wirksame Lösung zu fördern.
Wenn Agrarökologie so erfolgreich ist, warum wird sie dann nicht flächendeckend angewendet?
Ein grosses Hindernis bleiben die finanziellen Rahmenbedingungen. Trotz der vielen wissenschaftlichen Belege für die Vorteile von Agrarökologie setzen Regierungen und Investoren oft noch auf chemieintensive Hochleistungssysteme, weil sie kurzfristig höhere Erträge versprechen. Doch dieser Ansatz macht die Böden anfälliger für Erosion und Wetterextreme. Damit Agrarökologie sich durchsetzen kann, brauchen wir staatlich unterstützte Programme, die Landwirtinnen und Landwirten gezielt Schulungen und Anreize bieten. Ausserdem muss der Zugang zu Märkten für nachhaltig produzierte Lebensmittel verbessert werden.
Welche Botschaft würdest du politischen Entscheidungstragenden mitgeben?
Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn wir nicht jetzt handeln, könnten bis zu 216 Millionen Menschen gezwungen sein, aufgrund von Dürren, ausgelaugten Böden und sinkenden Erträgen ihre Heimat zu verlassen. Agrarökologie ist eine nachweislich funktionierende Lösung. Sie schützt Böden, sichert Ernährung und stärkt die Landwirtschaft. Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger haben jetzt die Wahl – entweder sie investieren heute in nachhaltige Lösungen oder sie stehen morgen vor noch grösseren Krisen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt.