Agrarökologie in der Praxis: Wissensverbreitung

Von

Peter Lüthi, Projektreporter

Biovision setzt mit seinem Programm zur Wissensverbreitung mehrere Grundsätze der Agrarökologie um: Wir ermächtigen Kleinbauernfamilien, ihre Ernährung und ihr Auskommen zu verbessern und ihre Umwelt zu erhalten. Zugleich wird der gegenseitige Austausch zwischen Bäuerinnen und Bauern, Forschenden und Behörden gefördert.
Femmes qui discutent à la radio TOF
Der Radioreporter Macdonald Mathew nimmt angeregte Diskussionen auf.

Unterwegs in unseren Afrika-Projekten staune ich immer wieder über die Redegewandtheit vieler Menschen. Auch in abgelegenen Dörfern und Gehöften treffe ich regelmässig auf Bäuerinnen und Bauern, die aus dem Stand brillante Reden halten oder rhetorisch geschliffene Interviews geben können. Ein Grund dafür liegt wohl darin, dass ihre Kommunikationskultur seit jeher und bis heute mündlich geprägt ist.

Biovision macht sich die Stärke des gesprochenen Wortes zunutze für die Verbreitung von Wissen und die Ermächtigung der Menschen, ihre Ernährung und ihr Auskommen zu verbessern. Unsere Radiosendungen für Bäuerinnen und Bauern sind neben zwei Bauernzeitungen, praktischen Ausbidungskursen, landwirtschaftlichen Beratungsdiensten und einer renommierten Internetplattform seit Jahren Flaggschiffe unseres Farmer Communication Programmes (FCP). In Kenia berichten eine nationale und vier regionale Radiostationen regelmässig und zu bester Sendezeit mit speziellen Programmen über ökologische Anbaumethoden, eine sichere Lagerhaltung der Ernten und über effiziente Transport- und Vermarktungsmöglichkeiten landwirtschaftlicher Produkte. Bäuerinnen und Bauern erhalten zudem die Möglichkeit, sich gegenseitig über ihre Probleme und Lösungen auszutauschen.

Biovision & Forschung

Im Projekt „Mehr Forschung für Agrarökologie“ verfolgt Biovision durch Politikdialog & Anwaltschaft das Ziel, die Investitionen für nachhaltige Landwirtschaft in Afrika aber auch auch weltweit zu erhöhen.

In einer 2020 publizierten Studie hat Biovision untersucht, wie die Forschungsmittel heute verteilt sind zwischen industrieller und nachhaltiger Landwirtschaft und Empfehlungen formliert für Auswege aus der Sackgasse der industriellen Landwirtschaft.

Nützliche Ratschläge vom Bauernradio

Noch vor dem Corona-bedingten Lockdown besuchte die Beobachter-Reporterin Julia Hofer zusammen mit dem kenianischen Radiojournalisten Macdonald Mathew u.a. eine Bäuerinnengruppe in Machakos östlich von Nairobi. Die Landwirtinnen treffen sich regelmässig, um ihr Wissen auszutauschen, sich zu vernetzen und sich gegenseitig zu unterstützen – eine ideale Ausgangslage für eine neue Folge im Bauernradio.

Die Frauen sitzen um ein Tischchen, auf dem ein Laptop und zwei Boxen aufgebaut sind. Jemand stellt Mbaitu FM (der lokale Radiosender, Red.) ein und sucht die Sendung «The Organic Farmer», die letzten Freitag gesendet wurde. Aus den Lautsprechern scheppert Macdonald Mathews Stimme. Natürlich könnten die Frauen die Sendung auch zu Hause hören. Aber das wäre nicht dasselbe. Wenn sie zusammenkommen, wird aus einzelnen Hörerinnen eine Studiengruppe.

Lokales Wissen weitergeben

Kaum ist das Radio verstummt, stöpselt Macdonald sein Mikrofon ins Aufnahmegerät, drückt die Aufnahmetaste und moderiert die nächste Sendung an. Diesmal geht es um die Frage, wie man Verluste nach der Ernte vermeidet. Ein wichtiges Thema, denn in Kenia verderben zwischen 20 und 60 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte auf dem langen Weg vom Feld auf den Teller. Der Radiojournalist hält einer Bäuerin das Mikrofon hin. Sie will wissen, warum die Früchte, die sie mit dem Esel auf den Markt bringt, so schnell verderben. Eine andere fragt: «Wie kann ich verhindern, dass meine Avocados verfaulen?» Eine alte Frau zeigt Bohnen und Maiskörner herum: «Warum sehen sie so kärglich aus?» Die Antworten auf diese Fragen gibt der ebenfalls anwesende John Mutisya, der im Auftrag von Biovision die Bauernschaft berät. Die Früchte müssten besser verpackt werden, damit sie beim Transport keine Druckstellen bekämen, spricht John Mutisya ins Mikrofon. Und: Haltet eure Avocadobäume klein, dann könnt ihr die Früchte vom Baum holen, bevor sie herunterfallen und deswegen faulen. Die Bohnen müssen zuerst gut getrocknet und dann in Säcken mit dichtem Innenfutter gelagert werden, weiss er. Das verhindert Schimmelbildung und hält Ungeziefer fern. Auch bezüglich Mais weiss John Mutisya Rat: Er vermutet, dass die Körner beschädigt sind, weil sie mit einem Stock vom Kolben gelöst wurden.

Agrarökologie vereint traditionelles Wissen und Wissenschaft

Die Radioprogramme von Biovision in Kenia und Tansania bieten anschauliche Beispiele, wie Agrarökologie in der Praxis funktioniert. Der Begriff steht einerseits für eine Wissenschaft der Ökologie und der Landschaftsökologie, andererseits für landwirtschaftliche Methoden und Praktiken, und er meint auch eine gesellschaftliche und politische Bewegung. Das von Biovision initiierte FCP (Farmer Communication Programme) wird seit Jahren von unserer kenianischen Schwesterorganisation Biovision Africa Trust (BvAT) umgesetzt und bezieht alle drei Aspekte der Agrarökologie mit ein. So sind die propagierten ökologischen Anbaumethoden und Anleitungen wissenschaftlich geprüft und dienen nebst der Ertragssteigerung auch der Erhaltung und Aufwertung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Biodiversität. Im Rahmen des FCP werden der gegenseitige Austausch zwischen der Wissenschaft und der Bauernschaft – aber auch zwischen den Bäuerinnen und Bauern sowie Bauerngruppen – praktiziert und gefördert. Damit leistet Biovision einen aktiven Beitrag für eine Biobewegung, die in Ostafrika zunehmend an Fahrt gewinnt.

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