Zwischen Lehrstuhl und Acker: Der neue Biovision-Stiftungsrat im Gespräch

Von

Lothar J. Lechner Bazzanella

Seit Ende 2023 ist Prof. Dr. Christoph Studer Stiftungsrat bei Biovision. Der Experte für tropische Landwirtschaft erklärt im Interview seinen Werdegang, was ihn bei Biovision seit Jahrzehnten begeistert und wo in den nächsten Jahren die grössten Herausforderungen für Entwicklungszusammenarbeit liegen werden.

Christoph Studer, Sie sind seit kurzem neues Mitglied im Stiftungsrat von Biovision. Wie kam es dazu?

Ich engagiere mich schon seit mehreren Jahren für Biovision und bin seit 2014 im Programmausschuss, habe also viele Projekte eng begleitet und mitgestaltet. Angefangen hat jedoch alles, als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal vom Infonet erfahren habe, also der Wissens-Plattform von Biovision, die in den 2000er Jahren in Kenia etabliert worden ist.

Können Sie das genauer erklären? 

Als Professor für die Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL, einem Departement der Berner Fachhochschule, ist es für mich immer enorm spannend zu sehen, wie man theoretisches Wissen in der Praxis umsetzen kann. Da lieferte das Infonet damals einen interessanten Ansatz. Und nachdem ich kurz darauf bei der Arbeit zum Weltagrarbericht eng mit Hans R. Herren zusammengearbeitet habe, führte eines zum anderen und ich begann mich immer mehr für Biovision zu interessieren und zu engagieren.

Sie haben Ihre Professur an der HAFL angesprochen. Wie sieht Ihr persönlicher Werdegang aus?

Ich habe an der ETH Agrarwissenschaften studiert. Und weil mich Entwicklungszusammenarbeit schon immer interessierte, habe ich mich auf Landwirtschaft in den Tropen und insbesondere in Trockengebieten spezialisiert. Nach meiner Doktorarbeit über den Einsatz von Wasser in der Landwirtschaft trockener Gebiete konnte ich zum internationalen Agrarforschungszentrum ICRISAT im Niger gehen und habe dort über drei Jahre lang in der Agroforstwirtschaft gearbeitet. Mit dabei war auch immer meine Frau, die selbst Agronomin ist.

Wie ging es weiter?

Nach unserer Zeit im Niger ging es für uns nach Syrien ans ICARDA, dem Internationalen Zentrum für Agrarforschung in Trockengebieten. Auch hier habe ich mich mit dem Thema Wasser auseinandergesetzt und mich dafür eingesetzt, dass man Wasser in der Landwirtschaft möglichst effizient und produktiv nutzt. Bis eines Tages das Telefon klingelte und ich von einem Freund erfuhr, dass an der HAFL in Zollikofen bei Bern (damals noch Schweizerische Hochschule für Landwirtschaft SHL) eine Stelle frei wäre. Wir waren hin- und hergerissen, was wir nun machen sollten.

Weshalb?

Während meiner Zeit in Syrien war ich extrem viel unterwegs. Ich durfte verschiedene Länder bereisen, was natürlich enorm spannend war, aber halt kaum Zeit für die Familie erlaubte. Gleichzeitig wusste ich, wie rar solche Stellenangebote in der Schweiz sind. Es war wirklich eine einmalige Gelegenheit, mich im Rahmen meiner Interessen zu engagieren und meine Erfahrungen teilen zu können. Also entschieden wir uns, zurück in die Schweiz zu ziehen. Im Nachhinein hat sich das als wahrer Glückstreffer herausgestellt.

Warum?

Weil ich an der HAFL eben nicht nur unterrichten, sondern daneben auch noch viel Forschung und Beratung machen darf. Für mich ist es immer spannend, im Feld zu sein. Mit Bäuerinnen und Bauern, aber auch mit politischen Entscheidungstragenden zusammenzuarbeiten. An der HAFL kann ich nach Forschungs- oder Beratungsaufträgen in die Klassen gehen und meine Erfahrungen und Fotos dort direkt mit den Studierenden teilen. Das ist schon eine wunderbare Art, zu lehren. 

Praxisbezogene Arbeit ist also für Sie sehr wichtig?

Absolut. Die Frage, wie man theoretisches Wissen auf dem Feld anwenden kann, hat mich mein ganzes Berufsleben begleitet und ist auch heute noch ein ganz wichtiger Teil meiner Arbeit. Aus diesem Grund bin ich eben damals auch auf Biovision aufmerksam geworden, weil ich vom Infonet erfahren hatte und dessen Idee, Wissen zu vermitteln. 

Warum ist dieser Aspekt für Sie ein elementarer Punkt? 

Weil ich denke, dass es hier schlichtweg noch ganz viel aufzuholen gibt. Wir wissen mittlerweile so viel, haben modernste Hightech-Geräte und tausende Studien. Aber die eigentliche Umsetzung klappt dann oft nicht. Dieser Gap, diese Diskrepanz zwischen theoretischem Wissen und praktischer Anwendung ist noch viel zu gross.  

Woran liegt das? 

Da gibt es ganz viele Gründe. Tatsache ist, dass wir die lokale Bevölkerung inklusive Entscheidungstragende noch stärker miteinbeziehen müssen. Dass man voneinander lernen muss.  

Können Sie das genauer erklären? 

Eine wichtige und richtige Entwicklung ist zum Beispiel der Ansatz der sogenannten Co-Production of knowledge, wo man zunächst Erfahrungen und Wissen der verschiedenen Beteiligten zusammenführt, und darauf aufbauend gemeinsamen Innovationen entwickelt: Hier arbeitet man intensiv mit den Menschen zusammen, welche die Massnahmen dann auch tatsächlich in der Praxis anwenden. Es ist entscheidend, dass alle Stakeholder involviert sind, sie ihre Sichtweisen und Meinungen einbringen, und man so gemeinsam bestmögliche Anwendungen findet, aus denen die Nutzerinnen und Nutzer die für sie passendsten auswählen und gegebenenfalls auch anpassen können. Diese Ansätze sind toll, sie liegen mir besonders am Herzen, und sie sind mit ein Grund, weshalb ich mich für Biovision engagiere. 

Inwiefern? 

Biovision arbeitet seit jeher an zwei Enden. Da haben wir zum einen die Arbeit auf politischer Ebene, mit dem Ziel, Rahmenbedingungen so zu ändern, dass Agrarökologie gestärkt wird. Und zum anderen ist da die Arbeit auf Grassroot-Level, also die intensive und enge Zusammenarbeit mit Bäuerinnen und Bauern. Ich bin fest davon überzeugt, dass man beides nicht verlieren darf, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Und ich bin überzeugt, dass dies auch im Sinne unserer Gönnerinnen und Gönner ist. 

Apropos Herausforderungen: Was sind Ihrer Meinung nach die grössten für die Zukunft? 

Ich denke, dass weiterhin enorm viel Arbeit auf Konsumentenebene vor uns liegt. Wenn niemand nachhaltig produzierte Lebensmittel nachfragt, dann ist das System per se nicht nachhaltig. Es braucht die Abnehmerinnen und Abnehmer, aber auch entsprechende Märkte und geeignete Rahmenbedingungen, und hierfür muss das Bewusstsein für Nachhaltigkeit gefördert werden. 

Wie gelingt das am ehesten? 

Wir brauchen vor allem eines: konkrete Beispiele – wahre Leuchttürme -, welche mit klaren Fakten und Zahlen zeigen können, dass Agrarökologie funktioniert und diese Art der Landwirtschaft eben ganz andere Auswirkungen auf die Umwelt und den Menschen hat als konventionelle Produktionsmethoden. Ich bin extrem froh, dass man bei Biovision viel Wert auf Monitoring legt und prüft, ob Wissen auch effizient angewendet und die gewünschte Wirkung erzielt wird.  

Sensibilisierungsarbeit und Monitoring sind also ganz wichtige Punkt? 

Auf jeden Fall. Es gilt den Leuten klarzumachen, dass gerade industrielle Landwirtschaft oft enorme hohe Kosten für die Gesellschaft, für die Umwelt und für das Klima mit sich bringt. Biovision hat dies schon lange erkannt: Erst wenn wir die Zivilbevölkerung mit klaren Zahlen und Statistiken mit ins Boot holen, können wir auch die Märkte beeinflussen. Das ist ein entscheidender Faktor. 

Weshalb? 

Weil Konsumentinnen und Konsumenten den Anstoss dazu geben können, dass sich die Märkte entwickeln. Dass führt am Ende auch dazu, dass die Entscheidungstragenden miteinsteigen und die Rahmenbedingungen ändern, damit ein wahrer Wandel möglich ist und gefördert wird.

Prof. Dr. Christoph Studer

Mitglied des Stiftungsrats seit Ende 2023.

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