Als der Schweizer Agronom Ernst Götsch in den 1980er Jahren nach Brasilien zog, stand er vor einer gewaltigen Herausforderung: 120 Hektaren Boden einer Kakaoplantage waren komplett ausgelaugt, das Land degradiert. Götsch aber brachte die Farm mit cleveren Techniken wieder zum Blühen, indem er ein visionäres Konzept entwickelte, das später als syntropische Agroforstwirtschaft bekannt wurde.
«Syntropie» stammt aus dem Griechischen und bedeutet «das Miteinandergehen». Syntropische Agroforstwirtschaft ist eine Kombination aus Ackerbau und Forstwirtschaft, die das natürliche Ökosystem nachahmt und dabei gleichzeitig Lebensmittel produziert. Götsch beschreibt das System mit den Worten: «Jedes Wesen in seiner Nische, jedes seine Funktion erfüllend, mit inter- und intraspezifischen Beziehungen, die auf Kooperation beruhen.»
Heute lebt sein Ansatz in Projekten von Biovision weiter. Etwa im kenianischen Bezirk Makueni, wo Bäuerinnen und Bauern wie Miriam David und Isaac Ndolo im Rahmen des Projekts Urban Nutrition monotone Maisfelder in vielfältige Agroforste verwandeln.
Wie funktioniert syntropische Agroforstwirtschaft konkret?
Bei Urban Nutrition besteht ein syntropischer Agroforst aus fünf Reihen. In den äusseren wachsen Nutzhölzer oder Fruchtbäume wie Avocado, Banane, Mango und Papaya. Das Gras in den Streifen neben den Bäumen dient nicht nur als Futter für die Tiere, sondern wird auch als Mulch verwendet, um den Boden fruchtbar zu halten und Erosion zu verhindern. Und in der Mitte gedeihen Petersilie, Erbsen und anderes Gemüse.
Für das ungeübte Auge mag ein solcher Agroforst chaotisch wirken, doch die Auswahl der Pflanzen ist entscheidend: Diese unterstützen sich gegenseitig, dienen als organischer Dünger und tragen zur natürlichen Schädlingsbekämpfung bei – ohne chemische Pestizide. Es entstehen kleinstmögliche Kreisläufe, die ein natürliches Ökosystem nachahmen.
Ein nachhaltiges System mit vielen Vorteilen
«Diese Methode bietet auf sehr wenig Fläche eine Vielzahl von Vorteilen», zeigt sich Thiong’o Gachie begeistert. Für Biovision bringt er die Techniken in Workshops interessierten Bäuerinnen und Bauern näher. Unter den 500 Personen waren auch Miriam David und Isaac Ndolo. Und laufend werden es mehr.
Wichtigster Vorteil: Die syntropische Agroforstwirtschaft verringert das Risiko von Ernteausfällen. Die Bauernfamilien können das ganze Jahr über gesunde Lebensmittel ernten, gleichzeitig fördern die verschiedenen Pflanzen die Biodiversität und bieten Lebensraum für zahlreiche Tierarten. Ausserdem kühlen die Bäume mit ihrem Schatten an heissen Tagen.
Diese Vorteile sind auf den Feldern von Miriam David und Isaac Ndolo deutlich zu erkennen. Statt nur Mais und Bohnen zu ernten, wachsen heute unterschiedliche Pflanzen in einem fruchtbaren Kreislauf. Konnte früher ein Ernteausfall die Ernährung der Bauernfamilien gefährden, bietet das Feld heute ausreichend Alternativen. Die Ernährungssicherheit ist gestiegen – und mit ihr das Einkommen. «Für mich als junger Bauer ist das eine willkommene Chance: Ich kann in meinem Dorf leben und meine Früchte in der Stadt verkaufen», erklärt Isaac Ndolo.
Lösbare Herausforderungen
Allerdings ist das Einrichten eines Agroforsts mit Herausforderungen verbunden. Es erfordert viel Handarbeit, und das Bewässern der Pflanzen ist eine grosse Aufgabe – besonders in trockenen Regionen wie Makueni. «Wir empfehlen den Bäuerinnen und Bauern, mit einem kleinen Feld von sieben auf 15 Meter anzufangen, damit sie die Freude an der Methode behalten», rät Thiong’o Gachie.
Auch der Verkauf der Produkte kann für eine Familie schwierig sein, da die Mengen wegen der Vielfalt zumindest anfangs oft zu klein sind. Bei Urban Nutrition fällt dieser Nachteil allerdings weniger ins Gewicht, da unsere Partnerorganisation den Vertrieb übernimmt.
Was diese Methode für Biovision bedeutet
Syntropische Agroforstwirtschaft ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit von Biovision. «Agroforstwirtschaft spielt in vielen unserer Projekte eine zentrale Rolle», erklärt Loredana Sorg, Co-Bereichsleiterin Internationale Zusammenarbeit bei Biovision. Der Fokus liegt darauf, standortangepasste Bäume zu pflanzen, die zur Erholung der Ökosysteme beitragen. Aktuell kommt die Methode in acht der rund 30 Biovision-Projekte zum Einsatz und hilft, die Resilienz der ländlichen Bevölkerung zu stärken und die Erträge zu erhöhen.
Syntropische Agroforstwirtschaft verbessert das Leben von Bauernfamilien. Miriam David und Isaac Ndolo vom Projekt Urban Nutrition sind eindrückliche Beispiele dafür. Eine Vision, die einst von einem Schweizer Agronomen in Brasilien geboren wurde, trägt nun in Dörfern Kenias Früchte – und verändert das Leben für Generationen.
In der Mitte eines Agroforsts werden zum Beispiel Erbsen, Petersilie und allerlei weiteres Gemüse gepflanzt. Es folgen auf beiden Seiten Reihen mit Gräsern. Die äusseren Reihen bilden Fruchtbäume und Nutzhölzer. Im Video erklärt Thiong’o Gachie den Anbau genauer.