«Wir wollen agrarökologischen Unternehmenden entscheidenden Boost geben»

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Lothar J. Lechner Bazzanella, Biovision. Bilder: Evans Ogeto.

Eine der grössten Hürden für agrarökologische Unternehmen in Kenia und Uganda? Der Zugang zu Wissen. Und zu Geld. Um dem entgegenzuwirken, wurde ein vielseitiges Programm auf die Beine gestellt. Schulungen, Networking, Kredite, Gespräche mit Entscheidungstragenden. So soll der Sektor gestärkt und das Ernährungssystem der Region langsam, aber sicher transformiert werden.

Am 15. Juni 2023 war es so weit: Das Biovision-Team von Politik und Anwaltschaft P&A lancierte zusammen mit unserem Partner SHONA den Neycha Business Accelerator & Fund in Uganda und Kenia. «Accelerator» bedeutet im Deutschen so viel wie Beschleuniger. Aufstrebende agrarökologische Unternehmerinnen und Unternehmer aus Kenia und Uganda dürfen sich in einer ersten Runde für diesen bewerben, um etwa an Schulungen oder Networking-Events teilzunehmen. Am Ende des Accelerators winkt für einige gar ein Kredit von mehreren Zehntausend Dollar zu günstigen Konditionen.

«Der Business-Accelerator ist nur eine, jedoch eine ganz konkrete Facette unseres Programms, mit welchem wir agrarökologische Unternehmen stärken wollen», erklärt Fabio Leippert, Programmverantwortlicher von P&A. «Letzteren fehlt dieses essenzielle Puzzlestück von passenden und flexiblen Finanzierungsmodellen.» So würden Studien in der Vergangenheit – insbesondere das Money-Flows-Projekt von Biovision – nicht nur zeigen, dass noch viel zu wenig Kapital in die Forschung von Agrarökologie fliesse. Auch in agrarökologische Unternehmen müsste deutlich stärker investiert werden.

«Agrarökologie ist skalierbar und rentabel»

«Viele Geldgebende wissen gar nicht vom enormen Potenzial agrarökologischer Unternehmen. Andere sind vielleicht der Meinung, dass Agrarökologie nicht im grösseren Umfang funktionieren kann. Ein Trugschluss. Es gibt schon jetzt Business Cases, die zeigen, dass agrarökologische Unternehmen skalierbar sind und dass Investitionen in diesen Sektor langfristig auch finanziell Sinn ergeben», so Leippert. Ziel des Programms von Biovision und unseren Partnern ist es, diese Erkenntnis zu belegen und bekannter zu machen, um damit die Financiers und die Rahmenbedingungen für den Sektor positiv zu beeinflussen. «Wir wollen anhand von konkreten Beispielen aufzeigen, dass sich Investitionen in agrarökologische Unternehmen lohnen.»

Weshalb? Agrarökologische Unternehmen sind nicht nur profitabel, sie sind ein Keyplayer in der Transformation unserer Ernährungssysteme. Sie schaffen dringend notwendige nachhaltige Jobs im fundamental wichtigen Landwirtschaftssektor. Sie garantieren Nahrungssicherheit und gründen resiliente und robuste wirtschaftliche Ökosysteme. Und sie haben positive Effekte auf die Natur und die Gemeinschaften ihrer Region. Dies die Kernargumente von P&A. Dafür habe man ein Programm entwickelt, das an verschiedenen Punkten ansetzt und so den Zugang zu Geld und zu Wissen für agrarökologische Unternehmen in der Region vereinfachen soll.

B-ACT-Tool

Ein wichtiger Bestandteil im gesamten Programm
ist das neue Business Agreocology Criteria Tool. Kurz B-ACT. Dieses wurde in den letzten Monaten vom Team von P&A bei Biovision in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen und Stakeholdergruppen entwickelt. Das B-ACT ist ein Instrument, mit dessen Hilfe man untersuchen kann, wie stark ein Unternehmen an den 13 Prinzipien der Agrarökologie ausgerichtet ist. Oder eben, wo es noch viel Raum für Entwicklung gibt. Besonders nachhaltige und sozialverträgliche Unternehmen, die einen Beitrag zu gerechten Ernährungssystemen leisten, können damit identifiziert werden. 

Illustration des B-ACT Tools auf einem Computer.
Biovision_Kenia_Uganda_BACT_01
Schatzkammer: 2009 wurde in Kenia das Seed Savers Network gegründet. Ein gemeinnütziges Netzwerk, das die genetische Vielfalt des Saatguts von Nutzpflanzen erhalten will. Programmleiterin Julia Kamau zeigt ihre Schätze

30 Unternehmen aus Kenia und Uganda nehmen teil

«Zum einen wollen wir unterstützende Rahmenbedingungen fördern. Was sind die systemischen Hürden für agrarökologische Unternehmen? Wie kann man diese so beeinflussen, dass sie Investitionen und dem Wachstum nicht mehr im Weg stehen?», führt Leippert aus. Sensibilisieren von Politikerinnen und Geldgebern, Gespräche mit Entscheidungstragenden sind hier gefragt.

Zum anderen wolle man vielversprechenden Businesses unternehmerische Tools an die Hand geben und ihnen den so wichtigen Zugang zu Kapital ermöglichen. 30 Unternehmen aus Kenia und Uganda werden hierfür jährlich am besagten Accelerator-Programm teilnehmen. Auf die Entrepreneurinnen und Entrepreneure wartet zunächst ein Pre-Boot-Camp mit Mentor-Sessions, Schulungen und Networking-Events. «Diese Kombination von Wissensvermittlung im erfolgreichen Führen von agrarökologischen Unternehmen sowie der nachfolgende Zugang zu günstigen Krediten sind weltweit einzigartig.»

Von den 30 Startern schaffen es 20 in die nächste Runde: das eigentliche Bootcamp, in denen über vier Monate lang zusammengearbeitet wird. «Hier geht es um vertieftes Capacity Building, also den fundierten Aufbau von Wissen, Fähigkeiten, Strukturen und Führungsqualitäten», erklärt Leippert. Und zwölf der 20 Unternehmen dürfen sich am Ende auf günstige Darlehen von 10 000 bis 50 000 Dollar aus dem Neycha Revolving Loan Fund freuen. «Summen, welche durch verschiedene Studien als missing middle identifiziert wurden. Zu gross für Mikrokredite, zu klein und damit unrentabel für klassische Investoren. Unsere Palette an Massnahmen soll den Unternehmen den entscheidenden Boost geben, um sich am Markt behaupten zu können, Folgekapital zu finden und so die Agrarökologie in der Region zu stärken.»

Stolze Hüterin: Nyakazi Organics ist eine Initiative des Seed Savers Network. Mitarbeiterin Mercy Onchari packt getrocknetes indigenes Blattgemüse ab

Nachhaltige Ernährung – von Nairobi bis Genf!

Nachhaltige Lebensmittelproduktion und ökologische Landwirtschaft schaffen es immer öfter auf das politische Parkett. Dies zeigen nicht nur unsere Bestrebungen in Kenia und Uganda. Auch der Kanton Genf hat einen entscheidenden Schritt in eine nachhaltige Zukunft gemacht.

Als erster Kanton hat Genf diesen Sommer das Recht auf Nahrung in seiner Verfassung verankert. 68 Prozent der Stimmbevölkerung haben sich dafür aus- gesprochen, dass der Kanton für eine «ausreichende und qualitativ angemessene Ernährung» sorgen muss. Ein echter Meilenstein und ein wahrer Grund zur Freude.

Der Genfer Entscheid fordert den Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln für alle Bürgerinnen und Bürger im Kanton. Es ist ein Ansatz, den auch wir von der Stiftung Biovision vertreten. Unser Ziel: gesunde, nachhaltige und fair produzierte Ernährung für alle Menschen.

Eines steht fest: Nahrung sollte nicht auf eine blosse Ware reduziert, sondern als grundlegendes Menschenrecht anerkannt werden. Das hat die Abstimmung in Genf einmal mehr deutlich unterstrichen. Es liegt in unserer kollektiven Verantwortung, dieses Recht nicht nur für uns selbst, sondern auch für künftige Generationen zu gewährleisten. Wir gratulieren dem Kanton Genf und all jenen, die zum Schutz dieses wichtigen Rechts beitragen. Gemeinsam können wir eine Zukunft schaffen, in der jeder Mensch Zugang zu ausreichenden, qualitativ hochwertigen und gesunden Lebensmitteln hat

Über Capucine Musard

Programmverantwortliche
Nachhaltiger Konsum

Dieses Projekt wird von der Deza unterstützt.

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