Forschungsgelder fliessen grösstenteils in industrielle Landwirtschaft

Von

Florian Blumer, Reporter & Redaktor

Eine neue Studie von Biovision, IPES-Food und IDS zeigt auf, dass internationale Geldgeber in der Entwicklungszusammenarbeit nicht auf Nachhaltigkeit setzen. Und sie weist Wege aus der Sackgasse.

Ausgelaugte Böden, gefährdete Biodiversität, aufgeheiztes Klima: Die konventionelle Landwirtschaft zerstört mittelfristig die eigenen Grundlagen zur Nahrungsproduktion. Dennoch setzen die grossen Geldgeber in der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) nach wie vor auf eine Nahrungsproduktion, die auf Monokulturen, synthetische Pestizide und Kunstdünger baut. So zeigt eine neue Studie von Biovision, dem internationalen Experten-Panel IPES-Food und dem Institute of Development Studies (IDS) auf, dass 85% der Gelder der mächtigen US-amerikanischen «Bill & Melinda Gates Stiftung» für die landwirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit in Ansätze der industriellen Nahrungsproduktion fliessen.

Nicht viel besser sieht es bei Agrarforschungsinstituten in Kenia aus: Nur 13% der Projekte sind der Agrarökologie zuzurechnen – einer Landwirtschaft, die auf nachhaltiger Produktion und einem ganzheitlichen Ansatz basiert, der soziale Aspekte und politische Umstände miteinbezieht.

Das grosse Versprechen nicht eingelöst

Dies, obwohl 50 Jahre nach der «Grünen Revolution» in Subsahara-Afrika, dem breitflächigen Einführen der industriellen Landwirtschaft, die Bilanz ernüchternd ausfällt. Hans R. Herren, Träger des Welternährungspreises und Präsident von Biovision, sagt: «Der industrielle Ansatz hat auf der ganzen Linie versagt – bei den Ökosystemen, bei den Bauernfamilien, in ganz Subsahara-Afrika.» Bei allen ökologischen Schäden konnte das Versprechen, den Hunger zu besiegen, bis heute nicht eingelöst werden. Im Gegenteil: Seit mehreren Jahren steigt der Hunger auf der Welt wieder an.

Zahlreiche Initiativen und Projekte rund um den Globus zeigen auf, dass agrarökologische Ansätze in der Praxis funktionieren (siehe Beacons of Hope). Doch sie sind wissensintensiv: Agrarökologie liefert keine weltweit einheitlich anwendbaren Patentrezepte, sondern erfordert die Entwicklung lokal angepasster Lösungen. Umso wichtiger wäre also, dass Forschungsgelder von der industriellen in die agrarökologische Forschung umgelenkt werden. 

Positive Ansätze in der Schweiz

Etwas besser steht für einmal die Schweiz da: Die eidgenössische Direktion für Entwicklung  und Zusammenarbeit (DEZA) hat wie ihr deutsches und französisches Pendant und die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO, Agrarökologie offiziell als Schlüsselmethode für die Errichtung nachhaltiger Ernährungssysteme anerkannt. Dazu zeigt die Studie auf, dass immerhin 51% der mit schweizerischen Entwicklungsgeldern finanzierten Agrarforschungsprojekte Elemente der Agrarökologie enthalten, 41% auch systemische Komponenten wie faire Arbeitsbedingungen und die Gleichstellung der Geschlechter. Verbesserungspotenzial sieht die Studie darin, dass nur eine Handvoll der von der Schweiz mitfinanzierten Projekte systemische Ansätze enthalten. 

Positive Ansätze sind da, doch die Zeit drängt. Hans R. Herren mahnt: «Mit der multiplen Herausforderung des Klimawandels, dem ökonomischen Druck auf Land und Wasser, ernährungsbasierten Gesundheitsproblemen sowie Pandemien wie Covid-19, welche das Problem der Ernährungsunsicherheit in Subsahara-Afrika noch verschärft, brauchen wir den Wandel jetzt. Und um ihn realisieren zu können, müssen deutlich mehr Forschungsgelder in die Agrarökologie fliessen.» 

Biovision und Forschung

Im Projekt „Mehr Forschung für Agrarökologie“ verfolgt Biovision durch Politikdialog & Anwaltschaft das Ziel, die Investitionen für nachhaltige Landwirtschaft in Afrika aber auch auch weltweit zu erhöhen.

In einer 2020 publizierten Studie hat Biovision untersucht, wie die Forschungsmittel heute verteilt sind zwischen industrieller und nachhaltiger Landwirtschaft und Empfehlungen formliert für Auswege aus der Sackgasse der industriellen Landwirtschaft.

Ein Forscher am icipe Nairobi untersucht eine von Tuta absoluta befallene Tomatenpflanze.

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