Markus, ihr habt den Hof 2015 von deinen Schwiegereltern übernommen, die ihn konventionell bewirtschaftet haben. Was war der Auslöser, auf biologische Landwirtschaft umzustellen?
Markus Schwegler (MS): Es war unsere wichtigste Voraussetzung für die Hofübernahme. Ich war vorher zwölf Jahre im Sozialbereich tätig und wollte mehr im Freien arbeiten. Als meine Frau und ich die Ausbildung „Landwirtschaft im Nebenerwerb“ gemacht haben, wurden wir mit vielen Fragen ethischer und gesellschaftlicher Natur konfrontiert. Uns war klar, dass wir eine Verantwortung haben, die wir mit dem Hof wahrnehmen können. Darum wollten wir auf biologische Produktion umstellen. Und wir wechselten von Milchvieh- auf Mutterkuhhaltung. Diese Dinge haben dann alle folgenden Veränderungen vorangetrieben. Schliesslich hat uns auch ein Lehrgang zum Thema solidarische Landwirtschaft sehr viele Impulse gegeben.
Es gibt viele landwirtschaftliche Konzepte: von regenerativer Landwirtschaft über Permakultur bis hin zu Agroforstsystemen. Woran orientierst du dich?
MS: Ich bin da sehr offen. Die Ideen, die mir zusagen, nehme ich auf und setze sie um. Auch wenn in meinem Fall die biodynamische Ausbildung die Grundlage ist, möchte ich mich von verschiedenen Ansätzen und Ideen inspirieren lassen und sie ausprobieren. Es gibt den Begriff der “aufbauenden Landwirtschaft”, der mir sehr gefällt. Hier spielen neben den agronomischen auch die sozialen Aspekte eine wichtige Rolle. Die Arbeitsumgebung zum Beispiel sollte aufbauend und positiv sein. Ob diese Umgebung dann regenerativ, permakulturell, ökologisch oder biologisch geprägt ist, spielt für mich keine grosse Rolle. Es sollte einfach anders als die industrielle Landwirtschaft sein, die ich als „abbauende Landwirtschaft“ bezeichnen würde. Dort verdienen vor allem die Agrokonzerne Geld, während die Bauern und Bäuerinnen häufig für ein nicht existenzsicherndes Einkommen arbeiten. Davon müssen wir unbedingt wegkommen. Stattdessen brauchen wir Pioniere, die sich trauen, neue Wege zu gehen.
Es gibt 13 agrarökologische Prinzipien. Könntest du uns kurz erläutern, was die Prinzipien im Alltag auf dem Feld für dich bedeuten und inwiefern du sie umsetzt?
1. Kreisläufe schliessen
MS: Wir bemühen uns, dass unsere drei Betriebszweige (Ackerkulturen, Gemüseproduktion, Mutterkuhhaltung) möglichst ineinandergreifen und als geschlossener Kreislauf funktionieren. Das heisst zum Beispiel: Die Kühe geben uns Mist als Ergänzung zu den pflanzlichen Überresten, aus denen ich Kompost mache. Damit produziere ich hochwertigen Biodünger, der sehr gut ist für die Böden wie auch für die Gemüse- und Ackerkulturen. Gleichzeitig helfen die Kühe mit, die Landschaft zu pflegen.
2. Reduktion von Inputs
MS: Wir kaufen fast keine hoffremden Produkte zu. Einzig Düngemittel in Form von Hornspänen für gewisse Gemüsekulturen. Wir beabsichtigen aber, diesen Input mittelfristig wegzulassen. In Zukunft wollen wir nur noch mit Kompost kulturspezifisch düngen, sodass wir keinen zugekauften Dünger mehr benötigen. Zu den Inputs gehört für mich auch die Mechanisierung. Das beinhaltet die Maschinen an sich, den Kraftstoff wie auch die Ressourcen zur Herstellung der Maschinen. Auch hier achten wir drauf, möglichst wenig neu zu kaufen. Wir leihen lieber von Nachbar:innen aus oder reparieren.
3. Bodengesundheit
MS: Das ist die Grundlage für jegliches Wachstum. Diesen Aspekt gilt es permanent zu beachten. Zum Beispiel fahre ich nicht unmittelbar nach dem Regen mit den Maschinen über die Felder. Denn mit einer unpassenden Überfahrt auf nassem Boden könnte ich jahrelange Aufbauarbeit zerstören. Wichtig ist mir, möglichst wenig Fläche zu öffnen und stattdessen möglichst viel bewachsen und durchwurzelt zu lassen.
4. Tiergesundheit
MS: Sie hängt stark mit der Bodengesundheit zusammen. Für die Tiergesundheit spielt das Futter eine wichtige Rolle. Aber auch, wie gut die Tiere an die Umgebung angepasst sind. Darum haben wir bei der Hofübernahme die ganze Herde ausgewechselt. Das hat sich gelohnt: Den Tierarzt brauchen wir lediglich zum Kastrieren der männlichen Tiere oder um ihnen einen Nasenring einzusetzen. Ansonsten konnten wir den Tieren immer selber helfen. Wichtig ist für mich, die richtige Rasse am richtigen Ort und die richtige Anzahl an Tieren zu haben. Das Futter muss auf die Tiere abgestimmt sein. Nur wenn das Gesamtsystem gesund ist, sind es die Tiere auch.
5. Biodiversität
MS: Ganzheitlich zu denken und zu produzieren heisst, darauf zu achten, dass die Biodiversität möglichst erhalten oder gar aufgewertet wird. Das beeinflusst auch die anspruchsvolle Nützlings- und Schädlingsthematik sowie die Gesundheit von Acker-, Gemüse- und Obstkulturen. So bleiben wir ziemlich entspannt, wenn es viele Marienkäfer gibt. Wir lassen dann jeweils auch Pflanzen stehen (v.a. Beikraut), die von Läusen befallen sind, weil diese wiederum das bevorzugte Futter für Marienkäfer sind. Das Zusammenspiel zwischen Tieren und Pflanzen ist für mich wichtig und ein Beitrag zur Biodiversität.
6. Synergien nutzen
MS: Ich denke, Synergien sollte man unbedingt nutzen. Für mich gehört die Zusammenarbeit unter den Bäuerinnen und Bauern dazu. Wir helfen uns, leihen uns Maschinen gegenseitig aus oder tauschen Know-How aus. Der Austausch in verschiedenen Arbeitskreisen ist dafür sehr bereichernd. Aus ihnen entstehen auch engere Zusammenarbeitsformen, je nach geografischer Nähe. Wir bilden auch Einkaufsgemeinschaften für Pflanzgut und andere Betriebsmittel.
7. Vielfältiger Betrieb
MS: Das ist die Zukunft der Landwirtschaft. Es bedeutet kleinräumige, diversifizierte Betriebe; dies setzt jedoch voraus, dass mehr Menschen in der Landwirtschaft tätig sind. Unser Gemüsebau zum Beispiel ist zu klein, um ihn vollständig zu mechanisieren. Wir benötigen viele Hände für die Pflege. Das hat auch einen grossen Einfluss auf die Energiefrage: Die Handarbeit ist die einzige Arbeitsform, die eine ausgeglichene Energiebilanz aufweist. Die Schwierigkeit besteht darin, all diese Arbeitskräfte angemessen zu entlohnen, da das Lohnniveau in der Schweiz sehr hoch ist. Deshalb sind wir dankbar für unsere solidarischen Helfer:innen.
8. Gemeinsam Wissen erarbeiten
MS: Den Austausch unter den Bäuerinnen und Bauern fördern wir einerseits mittels der Arbeitskreise und andererseits durch die solidarische Landwirtschaft bei uns auf dem Hof. Unsere Mitglieder verfügen in der Regel kaum über landwirtschaftliches Fachwissen. Dadurch entstehen wichtige Diskussionen, neue Ideen und gegenseitiges Verständnis. Diese Offenheit zahlt sich aus. Die vielfältigen Ideen, die so zusammenkommen, ermöglichen uns Lösungen zu erarbeiten, die wirklich zukunftstauglich sind.
9. Ernährungsgewohnheiten anpassen
MS: Ich bin davon überzeugt, dass das Angebot die Nachfrage steuert. Deshalb fände ich es sinnvoll, die Auswahl an Produkten zu lokalisieren und zu ökologisieren. Das ist eine politische sowie gesellschaftliche Aufgabe. Ich zum Beispiel esse seit zehn Jahren kein Fleisch mehr, obwohl ich selbst Fleisch produziere. Ich möchte wenigstens den Konsument:innen Fleisch bieten, das nach biologischen Standards produziert wird. Das Fleisch verkaufen wir direkt ab Hof. Generell finde ich, dass man den Fleischkonsum weiter reduzieren und auf gute Qualität und Lebensbedingungen der Tiere achten sollte.
10. Fairness
MS: Die Frage ist: Was ist ein fairer Preis? Für mich sollte sich Fairness in der ganzen Handelskette widerspiegeln. Mit der solidarischen Landwirtschaft wollen wir hier ansetzen. Dabei sollen alle Vertreter:innen innerhalb der Handelskette über ihre Bedürfnisse diskutieren und faire Lösungen für alle finden. In der heutigen Handelskette ist Fairness praktisch unmöglich. Die Machtverhältnisse sind sehr ungleich. Ich finde es ausserdem wichtig, ohne teure Labels auszukommen. Das setzt ein enges, vertrauensvolles Verhältnis zwischen den Handelspartnern, direkt von Produzent:in zu Konsument:in, voraus.
11. Einbindung Produktion und Konsum
MS: Mit der solidarischen Landwirtschaft möchten wir das Konzept des “Prosument:innen” verwirklichen, d.h. jemand, der zugleich Produzent:in und Verbraucher:in ist. Wichtig sind uns hier die drei Grundsätze: Zusammenarbeit, Freiwilligkeit und Vertrauen. In unserer solidarischen Landwirtschaft arbeiten also alle freiwillig mit. So stärken wir das gegenseitige Verständnis zwischen uns und den Konsument:innen. Das funktioniert jedoch nur mit einem hohen Mass an Selbstverantwortung. Wenn Dinge aufgezwungen werden, wird dieses Ziel langfristig wahrscheinlich nicht erreicht.
12. Natürliche Ressourcen erhalten
MS: Der Verbrauch von Ressourcen und nicht erneuerbaren Rohstoffen in der Schweiz und Westeuropa ist unglaublich hoch. Die bereits bestehende Infrastruktur ist meines Erachtens völlig überdimensioniert und für mich nicht mehr nachvollziehbar. Ideal wäre, wenn alle Rohstoffe und Ressourcen, die wir hier auf dem Hof brauchen, aus der näheren Umgebung stammten. Dies versuchen wir seit wir den Hof führen, so gut es geht umzusetzen. Das heisst: Alles Vorhandene möglichst lange verwenden sowie Neues nur nach den Grundsätzen des Kreislaufgedankens installieren. Holz für Bauten, Photovoltaik für Strom, Handarbeit auf dem Feld usw.
13. Partizipation
MS: Das umfasst alle Elemente der solidarischen Landwirtschaft. Da geht es etwa darum, dass alle Beteiligten mitarbeiten, mitdenken und mitentscheiden. Wir haben ein grosses Netzwerk von Unterstützenden. Dadurch entsteht ein wertvoller und anregender Austausch. Das Verständnis für die Landwirtschaft ist zentral. Wir haben zum Beispiel diese tolle Rückmeldung von einer Familie bekommen: die Kinder haben plötzlich begonnen, Gemüse zu essen, weil sie wussten, woher es kommt und wie es wächst. Sie begannen Zusammenhänge zu verstehen und haben eine höhere Wertschätzung gegenüber den Lebensmitteln entwickelt. Genau dies ist die Voraussetzung, damit die Menschen beginnen, ihr Verhalten zu hinterfragen und auch zu verändern.