An diesem Nachmittag drängt sich eine Handvoll Kleinbauern auf einem Tomatenfeld aneinander. Ihr Interesse gilt ganz einem Glas, in dem winzige Insekten an einem Wattebausch hocken. «Das sind die Schlupfwespen der Art Dolichogenidea gelechiidivoris», erklärt Projektmanager Dr. Shepard Ndlela vom internationalen Insektenforschungsinstitut icipe: «Diesen natürlichen Feind des Schädlings Tuta absoluta haben wir aus Peru importiert.»
Die Spezialeinheit aus Peru
Ndlela öffnet den Deckel des Glases und schon sind die kleinen Schlupfwespen verschwunden. Sie machen nun gezielt Jagd auf die Tomatenminiermotte Tuta absoluta. Diese kann ganze Ernten zunichtemachen: «Die Schlupfwespe spürt die Raupe der Tuta absoluta auf grosse Distanz auf und legt ihre Eier in ihrem Körper ab. Auch auf den benachbarten Feldern wird sie auf die Jagd gehen. Dabei geht sie wie eine militärische Spezialeinheit vor: Es braucht nicht Millionen von Soldaten, es reichen zehn von ihnen», führt Ndlela aus.
Noch vor kurzem bot sich hier ein ganz anderes Bild: Als 2021 unser damaliger Projektverantwortlicher Stefan Diener die Gegend besuchte, erlebte er hautnah, wie die Bäuerinnen und Bauern gefährliche Substanzen ohne Schutzkleidung mit der Giftspritze auf die Tomatenpflanzen sprühten. Vier Jahre später, nach zahlreichen Schulungen, vertrauen die Bäuerinnen und Bauern den ökologischen Anbaumethoden.
Den Händlern ausgeliefert
Doch Tuta absoluta ist nicht der einzige Schädling, der den Bauernfamilien das Leben schwer macht. Auch Fransenflügler, Spinnmilben, weisse Fliegen und andere Schädlinge befallen die Tomatenpflanzen. Gegen die meisten von ihnen gibt es auf dem kenianischen Markt wirksame ökologische Pestizide. Für den Zugang zu diesen Produkten ist die Lage von Naroosura allerdings ausgesprochen ungünstig.
Das Dorf liegt isoliert in der schier endlosen Steppe von Narok, am Rand des Rift Valleys, wo die Ebene sanft in die Berge übergeht. Hier ziehen seit Generationen die Massai mit ihrem Vieh auf der Suche nach Weideland umher. In Naroosura sind einige von ihnen sesshaft geworden. Die Strasse zum Bezirkshauptort Narok ist unbefestigt und in einem desolaten Zustand. Schon vor Jahren haben die Behörden versprochen, diese zu sanieren. Passiert ist nichts.
Leidtragende sind die Menschen in Naroosura: Ohne eine bessere Strasse bleibt eine wirtschaftliche Entwicklung aus. Denn nur wenige Händler nehmen die mühsame Fahrt auf sich. Mit entsprechenden Folgen.
Einerseits sind im Dorf viele Produkte nur schwer erhältlich – darunter auch organische Hilfsmittel wie Bio-Dünger oder -Pestizide. Andrerseits sind die Bauernfamilien beim Verkauf der Tomaten der Willkür weniger Händler ausgeliefert, was den Preis drückt. Umgerechnet gibt es zwischen 5 und 25 Franken – für 100 Kilo Tomaten. Das ist bis zu zehnmal weniger als der übliche Marktpreis in Kenia.
«Verstehen, wer wir sind und was wir tun»
Primäres Ziel dieses Projekts mit icipe ist der ökologische Tomatenanbau: mit Kuhdung, organischen Pestiziden, Pheromonfallen und biologischer Schädlingsbekämpfung. Die Bauernfamilien sollen auch einen erleichterten Zugang zu organischen Hilfsmitteln erhalten. Zudem wurde vor wenigen Wochen ein Gewächshaus fertiggestellt. Darin können bis zu 100‘000 Tomatensetzlinge gleichzeitig gedeihen.
Daneben stärken wir auch die Position der Bäuerinnen und Bauern gegenüber den Händlern. Möglich wird das durch die enge Zusammenarbeit mit der lokalen Genossenschaft, der Narok Tomato Farmers’ Cooperative Society, und ihren 1300 Mitgliedern. John Nakolah, der Vorsitzende der Genossenschaft, steht inmitten seines Tomatenfelds, um ihn herum die Pflanzen, deren Zweige jetzt hochgebunden werden müssen. Sein Wort hat hier Gewicht. Er sagt: «Das Wichtigste, was wir aus diesem Projekt erhalten haben, ist Wissen. Es hat uns gezeigt, wer wir sind, was wir können – und wie wichtig unsere Umwelt ist.»
Der 60-jährige Vater von sechs Kindern ist überzeugt: «Mit organischem Dünger erhalten wir die Gesundheit der Pflanzen. Das steigert den Ertrag. So konnte ich im letzten Jahr über einen Monat lang Tomaten ernten. Als mich die anderen Bäuerinnen und Bauern nach dem Grund gefragt haben, habe ich ihnen geantwortet: Bio-Dünger.»
«Was gut für mich ist, ist auch gut für die anderen.»
Auf seinem Boden baut Nakolah für sich und seine Familie nebst Tomaten auch Bohnen, Kohl und Mais an – auch hier setzt er weitgehend auf biologische Anbaumethoden: «Der Gesundheitsaspekt ist mir sehr wichtig.» Als seine eigene Kohlernte einmal nicht ausreichte, musste er welchen auf dem Markt kaufen: «Wir haben ihn gekocht und gegessen. In dieser Nacht mussten wir uns alle übergeben, die ganze Familie. Den restlichen Kohlkopf haben wir weggeworfen. Wir haben ihn nicht einmal den Tieren verfüttert. Seitdem kaufe ich keinen Kohl von anderen Bauern auf dem Markt.» Heute weiss Nakolah: «Nur mit einer nachhaltigen Produktion schützen wir uns selbst und unsere Gemeinschaft. Denn was gut für mich ist, ist auch gut für die anderen.»
Er ist zuversichtlich: «Am Ende des Tages werden wir alle lächeln. Dank dieser Massnahmen können wir unseren Kindern eine Zukunft geben. Und das ist für mich das Wichtigste.»
«Ich kann mir die organischen Hilfsmittel leisten»
So wie John Nakolah geht es vielen in Naroosura. Etwa Bäuerin Peris Soipei Kaitet. Die 37-Jährige steht im Pferch ihrer Kühe und schaufelt schweissgebadet Mist in eine staubige Garrette: «Den brauche ich für mein Tomatenfeld», sagt sie. Von nachhaltigen Anbaumethoden hat sie an unseren Workshops erfahren und dann zunächst auf einem Versuchsfeld das Gelernte ausprobiert: «Heute verwende ich bloss noch Dünger, der den Würmern und anderen Lebewesen im Boden keinen Schaden zufügt. Nun sind die Blätter der Pflanzen bis zum Schluss der Erntezeit grün. Und vor allem: Dank des organischen Düngers fällt auch der Ertrag deutlich höher aus.»
Zusammen mit ihrem Mann nennt sie 4.5 Hektaren Land ihr Eigen, auf einem halben Hektar davon zieht sie Tomaten. Sie hat ihren Hof nach dem Modell der Agroforstwirtschaft entwickelt, bei der Mischkulturen unter Bäumen wachsen: «Die organischen Hilfsmittel sind zwar ein bisschen teurer als die synthetischen, aber: ich kann sie mir leisten. Denn dank der Erfahrungen auf dem Versuchsfeld weiss ich jetzt, dass ich mehr ernten werde. Damit kann ich gutes Geld verdienen.» Und selbstbewusst fügt sie an: «Dank des Projekts weiss ich jetzt, dass ich weiterhin so anbauen kann – auch dann, wenn ich eines Tages ganz auf mich allein gestellt wäre. »
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