Ernährungssicherheit: Wissenschaft und Bürger:innen zeigen neue Wege

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Martin Grossenbacher, Biovision; Bild: Jeton Bajrami/unsplash

Am Schweizer Ernährungssystemgipfel wurde der Leitfaden «Wege in die Ernährungszukunft der Schweiz» vorgestellt. Er zeigt aus wissenschaftlicher Sicht auf, wie der Wandel hin zu einem nachhaltigen Ernährungssystem gelingen kann. Zusammen mit den Empfehlungen des Bürger:innenrats für Ernährungspolitik stand er im Fokus bei den rund 300 Teilnehmenden.

Unsere Ernährungssicherheit ist gefährdet. Kriege, Pandemien, Klimawandel und das Schwinden der Biodiversität bedrohen auch die Versorgung der Schweiz. Gleichzeitig ist das heutige Ernährungssystem treibende Kraft solcher Krisen. Es überschreitet die Belastbarkeitsgrenzen der Erde, verursacht unter anderem weltweit rund 30 Prozent der Treibhausgasemissionen und ist ein entscheidender Faktor für das Schwinden der Artenvielfalt. Im bisherigen Tempo und mit den bisherigen Mitteln ist es für die Schweiz nicht möglich, die Nachhaltigkeitsziele der UN-Agenda 2030 (SDG) zu erreichen. Im Ko-Auftrag von Biovision erarbeitete deshalb ein Gremium aus 42 Forschenden renommierter Schweizer Institutionen die Publikation «Wege in die Ernährungszukunft der Schweiz – Leitfaden zu den grössten Hebeln und politischen Pfaden für ein nachhaltiges Ernährungssystem». Sie enthält einen konkreten politischen Handlungspfad, mit dem in der Schweiz der Wandel hin zu einem nachhaltigen Ernährungssystem gelingen kann. Ziel muss aus wissenschaftlicher Sicht eine Nahrungsmittelversorgung nach agrarökologischen Prinzipien sein, die über das ganze Ernährungssystem wirtschaftliche mit ökologischen und sozialen Interessen verbindet. Der Bericht wurde Anfang Februar in Bern am ersten Schweizer Ernährungssystemgipfel (s. Kasten unten) vorgestellt. 

«Nachhaltiges Ernährungssystem ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe»

«Es geht dabei nicht nur um die Landwirtschaft, sondern um die gesamte Wertschöpfungskette von den Produzierenden bis zu den Konsumierenden», betonte der Leiter des Berichts, Dr. Lukas Fesenfeld, Transformationsforscher an der Universität Bern und Dozent an der ETH Zürich. Nebst einem systemischen Ansatz für eine neue Ernährungssystempolitik sieht Fesenfeld vor allem die Einbindung aller Betroffenen als zentralen Erfolgsfaktor: «Die nachhaltige Transformation unseres Ernährungssystems ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die von der Politik angetrieben werden sollte. Es müssen sich aber alle Akteure wie etwa die Landwirtschaft, der Handel sowie die Konsumentinnen und Konsumenten daran beteiligen. Der Leitfaden ist eine riesige Chance für die Schweiz!», appellierte der Wissenschaftler an die Politik. Bestätigt werden die Forschenden vom Bürger:innenrat für Ernährungspolitik. Dessen Empfehlungen, die vergangenen November vorgestellt wurden, weisen in die gleiche Richtung. Die 126 demokratisch abgestimmten Empfehlungen des Bürger:innenrats zeigen ausserdem, wo politisch mehrheitsfähige Lösungen realisierbar sind.

Transformationsfonds, Zukunftskommission und Bürger:innenräte

Konkret schlägt das wissenschaftliche Gremium in einer ersten Phase bis 2025 beispielsweise die gezielte Förderung von technologischen Innovationen, aber auch Umstellungsprämien für landwirtschaftliche Betriebe sowie die Förderung nachhaltiger Angebote in Kantinen und Restaurants vor. Dafür soll ein Transformationsfonds geschaffen werden, der sowohl aus öffentlichen wie privaten Mitteln gespiesen würde. Ab 2025 könnten dann schrittweise tiefergreifende Lenkungsabgaben sowie regulatorische Massnahmen eingeführt werden.

Der Handlungspfad nach systemischem Ansatz orientiert sich an einem Leitbild mit elf Zielindikatoren, mit denen in der Schweiz die SDGs im Ernährungssystem erreicht werden sollen. Für die Steuerung des Prozesses ist eine «Zukunftskommission Ernährungssystem» vorgesehen. Darin wären alle zentralen Akteure entlang der Wertschöpfungskette sowie Bund, Kantone und Gemeinden ausgewogen vertreten. Verhandlungen in der Kommission müssten laut Leitfaden neutral moderiert und kompromissorientiert erfolgen sowie wissenschaftlich begleitet werden. Die Kommission würde ebenfalls einen regelmässigen Einbezug der Bürgerinnen und Bürger in den Prozess gewährleisten – nicht als Ersatzparlamente, sondern als Beratungsgremien.

Der Ball liegt bei der Politik

Die Schweiz wäre global Pionierin, wenn sie ihre Ernährungspolitik entlang eines wissenschaftlich fundierten Handlungspfads nachhaltig umgestaltet. Für Lukas Fesenfeld ist es klar, wie es jetzt weitergehen muss: «Das Parlament sollte nach den Wahlen die Gestaltung der Zukunftskommission anpacken. Der Transformationsfonds dagegen sollte vom Bundesrat angestossen werden.» Der Ball liegt nun also bei der Politik. Am Ernährungssystemgipfel erhielten die Akteure aus dem Ernährungssystem sowie die Politik mit dem Leitfaden und den Empfehlungen des Bürger:innenrats für Ernährungspolitik konkrete Inputs und eine klare Richtung, in der sich die Schweiz jetzt bewegen muss.

Ernährungssystemgipfel gibt wertvolle Impulse weiter

Prominentester Gast am ersten Schweizer Ernährungssystemgipfel war Bundesrat Guy Parmelin. Biovision hat den Anlass im Rahmen des Projekts «Ernährungszukunft Schweiz» mitiniitiert. Am Anlass vom 2. Februar in der Universität Bern nahmen fast 300 Vertreterinnen und Vertreter von Produktion bis Handel und Konsum, sowie aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung teil und diskutierten Vorschläge, wie eine Ernährungspolitik sinnvoll gestaltet werden kann. Im Mittelpunkt des Austauschs standen der wissenschaftlichen Leitfaden (s. Haupttext) und die Empfehlungen des Schweizer Bürger:innenrats zur Ernährungspolitik.

In einer offiziellen Stellungnahme zieht Frank Eyhorn, Geschäftsführer von Biovision, eine positive Bilanz zum Gipfel, fordert aber «mehr Tempo bei der Ernährungspolitik!»

Bundesrat Guy Parmelin auf der Bühne am Ernährungssystemgipfel in Bern am 2. Februar 2023

Bei Fragen bin ich gerne für Sie da:

Daniel Langmeier

Politikberater Schweiz
+41 44 512 58 62

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