Auf die Frauen kommt es an

Von

Loredana Sorg, Biovision

Biovision fördert in ihren Projekten gezielt die Mitwirkung von Frauen. Denn von der Stärkung ihrer Position profitiert die ganze Gemeinschaft.

Stellen Sie sich vor, Sie sind eine tansanische Bäuerin mit 1,5 Hektar Land, fünf Kindern, ein paar Hühnern, einem Mann, der unter der Woche in der Stadt arbeitet, einer kranken Schwiegermutter zu Hause und ohne Erspartes. Lesen können Sie gerade das Nötigste, schreiben hingegen fällt Ihnen schwer. Nun haben Sie von einer Nachbarin gehört, dass nächste Woche ein kostenloser Kurs zu moderner Bienenhaltung angeboten wird. Der Verkauf von Honig und Wachsprodukten soll offenbar jedem und jeder ein zusätzliches Einkommen ermöglichen.

Gehen Sie hin? Trauen Sie es sich zu, unter lauter besser ausgebildeten Männern einen Kurs zu besuchen, zum ersten Mal überhaupt in Ihrem Leben? Und selbst wenn: Wer schaut während der Unterrichtszeit auf Ihre drei Kleinkinder, wer kocht am Abend für alle, wer holt Wasser, wer sucht Holz und wer pflegt tagsüber Schwiegermutter und Gemüsebeet?

Frauen arbeiten länger und verdienen weniger
Biovision setzt sich für gleiche Chancen und die Verbesserung der Lebensbedingungen von Kleinbauernfamilien ein. Dazu gehört, dass in unseren Projekten eine möglichst egalitäre Beteiligung von Frauen und Mädchen, eine gesündere Ernährung und Einkommenssteigerungen für alle Haushaltsmitglieder angestrebt werden. Das einleitende Gedankenspiel zeigt allerdings auf: Die Realität ist komplex. Nur weil Biovision Frauen und Männern gleichermassen Zugang zu Ausbildungskursen gewährt, heisst das noch lange nicht, dass die Angebote auch gleichermassen genutzt werden. Frauen arbeiten oft länger, verdienen weniger, haben geringere Wahlmöglichkeiten, verfügen über weniger Ressourcen und sind mit verschiedenen Formen von Diskriminierung konfrontiert.

Gleichzeitig haben unsere Erfahrungen in den Projekten wie auch wissenschaftliche Studien gezeigt, dass die Stärkung und die Ermächtigung von Frauen zu gesünderen Familien und Gemeinschaften führen – wortwörtlich vor allem in Bezug auf die Ernährung und im übertragenen Sinne hinsichtlich der Stabilität und der Resilienz von Familien. In Frauen zu investieren, ist die effektivste Art, das Leben aller zu verbessern.

So wenig aber die typische ostafrikanische Kleinbäuerin existiert, so wenig gibt es das allgemeingültige Rezept, um Gleichberechtigung zu erreichen. Es ist unerlässlich, auf die spezifische Situation vor Ort einzugehen und in Zusammenarbeit mit den Gemeinschaften effektive Lösungen zu suchen. Biovision investiert deshalb Geld, Gedanken und Zeit in die Planung, Umsetzung und Auswertung von Interventionen, die zusammen mit Frauen entwickelt werden. Dass sich dies auszahlt, zeigen die positiven Erfahrungen in unseren Projekten.

Mary Kameun, Imkerin aus Kenia
Eigenes Geld! Mary Kameun mit ihrem ersten Einkommen aus der Honigproduktion in Lomut, Kenia. (Foto: Peter Lüthi)

Pendo Ndemo unterrichtet nun ihren Mann

Zum Beispiel Pendo Ndemo, eine Massai-Hirtin, die sich am ersten Treffen als Mitglied ihrer Massai-Gruppe Nameloki («Viel Glück») kaum ein Wort zu sagen traute. Mittlerweile hat sie mit Unterstützung unserer Partnerorganisation Sustainable Agriculture Tanzania (SAT) eine eigene Gruppe gegründet, in der sie unter anderem ihren Ehemann in nachhaltigem Weidemanagement unterrichtet. Und im Nachbardorf gibt sie einer Massai-Gruppe Kurse im Anlegen von Gemüsegärten.

Ein solcher Erfolg kommt nicht von selbst. Janet Maro, die umtriebige Direktorin von SAT, tauschte sich über längere Zeit mit verschiedenen Mitgliedern der Massai-Gemeinschaft in der Projektregion Mvomero aus, um die beste Herangehensweise zu finden. Während der Umsetzung holten sie und ihr Team immer wieder Rückmeldungen der Teilnehmenden ein, um den Ansatz zu verbessern und möglichst allen ein gewinnbringendes Mitwirken zu ermöglichen. So legte SAT die Milchverarbeitung, die traditionell Sache der Frauen ist, als neuen Fokus fest. Damit landet das erwirtschaftete Bargeld in deren Taschen statt bei ihren Männern.

Unkonventionelle Lösung gesucht und gefunden

In Dehana, Äthiopien, verfolgten Biovision und das Projektteam unserer Partnerorganisation icipe von Anfang an das Ziel, mindestens hälftig junge Frauen als Jungunternehmerinnen in der Bienenhaltung auszubilden. Doch die Herausforderungen waren gross und zahlreich: Frauen erhalten kaum Mikrokredite, dürfen nachts nicht ausserhalb der Siedlung Bienenstöcke bewachen und verlassen ihr Dorf und damit die Imkergruppe manchmal von einem Tag auf den anderen, wenn sie heiraten.

Dass es trotzdem funktionieren kann, zeigt die Geschichte von Birhanie Asmamaw, Schatzmeisterin des 2017 gegründeten Jungunternehmens «Azmeraw Debesaw & Friends» und Mutter eines Sohnes sowie einer kleinen Tochter. Weil es sich für junge Frauen aus ihrem Dorf nicht ziemt und auch ein Sicherheitsrisiko bedeutet, die Nacht ausser Haus zu verbringen, musste sie zusammen mit ihren Kolleginnen und dem Projektteam eine kreative Lösung für den Standort ihrer Bienenstöcke finden. Diese stehen nämlich normalerweise weitab des Dorfes an einer Wasserquelle. Die 31-jährige Imkerin platzierte ihre Bienenkästen gleich hinter ihrer Lehmhütte. Sie muss aber besonders gut auf die Völker achtgeben, damit diese die Nachbarfamilien nicht stören.

Mit einer ganz anderen Selbstverständlichkeit engagieren sich die Frauen aus dem Dorf Itumbu in unserem Saatgutprojekt im Vihiga County in Kenia. Die Zusammenarbeit unserer Partnerorganisation «Alliance of Bioversity International and CIAT» mit den lokalen Gemeinschaften entstand über die Ernährungsberatung junger Mütter mit Kleinkindern. Deshalb machten Frauen von Anfang an die Mehrheit der Projektteilnehmenden aus. Sie lernten, eine grössere Diversität an traditionellen Gemüsesorten gewinnbringend anzubauen. Dies verhalf ihnen zu höherem Ansehen in der Gemeinschaft, sie kommen deshalb auch bei anderen Themen wie der Planung der Haushaltsausgaben stärker zu Wort.

Viele der beteiligten Frauen erzählten nach der ersten, dreijährigen Projektphase, dass sie nicht nur bessere Erträge in ihren Gemüsegärten erzielen, sondern auch von ihren Ehemännern, Brüdern und Vätern mit mehr Respekt behandelt würden. Oft zeigte sich dies in einer egalitäreren Rollenteilung zu Hause. Heute verfügen die Bäuerinnen über ein eigenes Haushaltsbudget, vorher waren sie vollständig vom Geld ihrer Männer abhängig.

Direktorinnen und Forscherinnen als Vorbilder

Emanzipierte Männer und unerschrockene Frauen braucht es allerdings nicht nur innerhalb der Dorfgemeinschaften, sondern auch auf der Ebene Projektleitung. So inspiriert SAT-Direktorin Janet Maro junge Frauen in ganz unterschiedlichen Positionen, das Heft selber in die Hand zu nehmen und sich beruflich zu entfalten. Auch Akademikerinnen wie die belgische Ernährungsforscherin Céline Termote, die das Projekt von Bioversity International Kenya in Vihiga mitaufgebaut hat, sind wichtige Vorbilder und Vorkämpferinnen für gleiche Chancen von Männern und Frauen.

Die Kenianerin Lilian Aluso, Projektmitarbeiterin von Bioversity International, wiederum ermöglichte mit ihrem unermüdlichen Einsatz während der schwierigen Pandemiezeit den Aufbau einer öffentlichen Saatgutbank. Hier engagieren sich Frauen und Männer gemeinsam, um lokal angepasstes und ertragreiches Saatgut zu lagern und zu vermehren, was sie von den Agrarkonzernen unabhängiger macht.

Selbstverständlich bedeutet der Fokus auf Frauen aber nicht, dass Männer links liegen gelassen werden. Die Stärkung der Rolle der Frau kommt auch Männern zugute, weil eine funktionierende Gesellschaft handlungsfähige Frauen braucht und der Schlüssel zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft, zu erhöhter Ernährungssicherheit und zu verbesserten Lebensumständen in der Einbindung aller Menschen jeglichen Alters und Geschlechts liegt. Dafür, und dass in Zukunft auch eine alleinerziehende tansanische Kleinbäuerin an Imkerkursen teilnehmen kann, setzt sich Biovision ein.

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