Ärztinnen und Ärzte in Kenia fordern Umdenken bei Pestiziden

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Margarete Sotier, Biovision und Fredrick Ochieng sowie Musdalafa Okello Lyaga, Biovision Africa Trust (Kenia)

In Kenia ist der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden in den letzten Jahren stark gestiegen – mit Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung, wie Medizinerinnen und Mediziner bestätigen.

Es war schon lange ihr Traum, Bäuerin zu werden. Als junge Frau zog Sylvia Kuria von Nairobi aufs Land und legte ihren ersten Gemüsegarten an. Weil ihr Schädlinge Sorgen bereiteten, nutzte sie zunächst synthetische Pestizide. Als sie nach ökologischen Alternativen suchte und den Kindern ihr eigenes, pestizidfreies Gemüse anbieten konnte, hörten die Ausschläge und Allergien, die ihre Kinder zuvor geplagt hatten auf. Heute gilt Sylvia Kuria in Kenia als Bio-Pionierin, die gesunde und erschwingliche Lebensmittel vertreibt.

Die negative Erfahrung von Sylvia Kuria machen in Kenia viele. Wie schwerwiegend die gesundheitlichen Folgen des Pestizidgebrauchs sein können, bestätigen auch viele Ärzte, die in landwirtschaftlich geprägten Regionen arbeiten.

 

Interview mit Dr. Peter Mokaya , aufgezeichnet von Fredrick Ochieng und Musdalafa Okello Lyaga, Biovision Africa Trust

Krebsrisiko steigt seit Jahren 

So etwa der Mediziner Dr. David Omollo Owuor, der in Kiambu und Machakos praktizierte. Die beiden Gemeinden gehören zu den Hauptproduzenten von Gemüse und Obst in Kenia. «Ich erinnere mich an die Behandlung von Patienten, die mit Hautausschlägen zu mir kamen und berichteten, dass sie den Ausschlag nach dem Besprühen der Pflanzen bekommen hatten. Andere klagten über Taubheit auf der Haut, wenn sie etwa beim Mischen einer landwirtschaftlichen Chemikalie versehentlich etwas verschüttet hatten.» Gerade in den letzten Jahren seien auch die Fälle von Krebserkrankungen angestiegen, so Dr. Owuor.

Einen Anstieg von chronischen Erkrankungen wie Asthma beobachtet Dr. Peter Mokaya, der seit 30 Jahren als Amtsarzt im Gesundheitssektor arbeitet. «Es gibt verschiedene Risikofaktoren, aber wir sehen eine Korrelation, wenn Menschen häufig Pestiziden ausgesetzt sind.» Diese Beobachtung bestätigt auch Dr. Victor Ng’ani, der viele Jahre als Krankenhaus-Arzt in einem bekannten Blumenanbau-Gebiet arbeitete: «In landwirtschaftlichen Gebieten sind die häufigsten Krankheiten Malaria, Magen-Darm-Erkrankungen und Allergien. Dies könnte auf die Exposition landwirtschaftlicher Produkte zurückzuführen sein.»

Einen direkten Zusammenhang zwischen einer Krankheit und dem Einsatz von Pestiziden herzustellen, sei schwierig, denn es seien viele Faktoren im Spiel, sagt auch Dr. Owuor. «Aber in den meisten Fällen lassen sich Muster innerhalb einer Region erkennen. Einige der Erkrankungen können als idiopathisch* bezeichnet werden, d.h., der Arzt kann die unmittelbare Ursache nicht erkennen, sie aber auf die andauernde Aufnahme von giftigen Stoffen, z.B. in der Nahrung, zurückführen. […] Auch die Tatsache, dass die meisten dieser Chemikalien in der Umwelt verbleiben und Menschen betreffen können, die keine direkten Anwender sind, macht es schwierig, Krankheiten mit dem Einsatz von Pestiziden in Verbindung zu bringen.»

Vergiftungsfälle und Langzeitfolgen 

Die Amtsärztin Dr. Teresa Omwoyo war viele Jahre in Kisumu tätig, einer stark landwirtschaftlich geprägten Region, in der zwei der grössten Fabriken für Zucker- und Reisproduktion stehen. Sie sagt: «Vergiftungsfälle kommen häufig vor […]. Ich erinnere mich an ein junges Mädchen, das mit starken Vergiftungssymptomen ins Krankenhaus gebracht wurde. Es stellte sich heraus, dass sie Organophosphat** aus einem achtlos weggeworfenen Pestizidbehälter getrunken hatte.»

Zwar kann man die meisten Fälle – wie den des erwähnten Mädchens – gut behandeln, doch noch viele Jahre später können sich Langzeitfolgen zeigen: “Wenn die Substanzen ihren Weg in das zentrale Nervensystem finden, können sie mit der Zeit zu Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer, Demenz, Depressionen und Aufmerksamkeitsstörungen führen.»

Schutzmassnahmen und Entsorgung – ein grosses Problem 

Eine Möglichkeit, dem entgegen zu wirken, ist ein besserer Schutz der Bäuerinnen und Bauern, die auf den Feldern die Pestizide ausbringen. «Kleinbauern müssen schauen, dass sie über die Runden kommen. Sie wissen oft nicht, dass sie eine Schutzausrüstung beim Sprühen tragen sollen. Und diejenigen, welche die Anweisungen lesen können, können sich vielleicht die empfohlenen Massnahmen nicht leisten.» Viele liessen die Chemikalien-Behälter an ungeschützten Orten liegen, wo sie in die Hände von Kindern gelangen können.

Es gebe auch Betriebsleiter, die auf Schutzmassnahmen achteten, so Dr. Teresa Omwoyo. Doch manchmal scheitere es dann auch an den Feldarbeiterinnen und -arbeitern selbst. Sie sagt: «Ich stellte Feldarbeiterinnen und Feldarbeitern Schutzkleidung zur Verfügung, aber sie trugen sie nicht, wenn sie auf dem Feld arbeiteten, weil es zu heiss und unbequem war.» Auch Dr. Victor Ng’ani sagt, dass viele die Anweisungen ignorieren würden. «So sind sie all den giftigen Dämpfen und Substanzen ausgesetzt, die ihren Körper entweder sofort oder auf lange Sicht schädigen.»

Pestizid-Einsatz in Kenia 

Der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide ist in Kenia allein von 2015-2018 um 144% gestiegen. Konkret zeigen die Ergebnisse auf, dass 33 % der in Kenia zugelassenen Pestizidwirkstoffe in Europa aufgrund ihrer Schädlichkeit vom Markt genommen wurden. Lesen Sie mehr dazu im Interview mit der Toxikologin und landwirtschaftlichen Beraterin in Kenia Silke Bollmohr. 

Lösungsansätze von Bio-Landbau-Förderung bis zu politischer Regulierung  

Doch wo setzt man an, um die Probleme anzugehen? Dr. Teresa Omwoyo sieht eine Lösung in der staatlichen Förderung von biologischem Landbau und hofft auf stärkere politische Regulierungen: «Die Regierung hat die Verantwortung, die Produktion von Bio-Lebensmitteln zu fördern. Ein gangbarer Weg wäre die Einführung von Kontrollmechanismen, um so zu steuern, was zu den Bauern und Bäuerinnen gelangt. Wenn Agrarberater die Bäuerinnen und Bauern mit Schulungen zur sicheren Lebensmittelproduktion erreichen könnten, gäbe es vielleicht weniger gesundheitliche Probleme», sagt die Amtsärztin.

Aufklärungs- und Bildungsarbeit sieht auch Dr. David Owuor als guten Ansatzpunkt: «Die Landwirte müssen über die Auswirkungen der schädlichen Pestizide aufgeklärt werden.» Und es müssten diejenigen in die Pflicht genommen werden, welche die Produkte einführen, denn sie seien in erster Linie an den Gewinnen interessiert. «Die Frage ist: Selbst wenn die Importeure das Wissen über die Auswirkungen einiger dieser Pestizide haben, wären sie ethisch genug, um den Handel mit potenziell gefährlichen Substanzen zu unterlassen?» Der Mediziner ist deshalb der Meinung, dass die Behörden strengere Auflagen zur Einfuhr bestimmter Produkte durchsetzen sollten, sodass sie gar nicht erst auf den Markt gelangen. Dann müsste auch die Justiz «ihren Teil dazu beitragen, dass die definierten Strafmassnahmen gegen diejenigen ausgeführt werden, die gegen das Gesetz verstossen.»

Dr. Viktor Ng’ani bekräftigt: «Die Aufklärung ist der Schlüssel.» Die Bevölkerung müsse über die Risiken des Gebrauchs von schädlichen Substanzen in chemisch-synthetischen Pestiziden informiert werden. «Zweitens: Es sollte klar definierte Regulierungsmassnahmen geben, wie sie auch die westlichen Länder eingeführt haben.» Man müsse sicherstellen, dass das Wissen über die Auswirkungen bestimmter Agrarchemikalien auf die menschliche Gesundheit in jede Lernplattform einfliesst, sodass es im Bewusstsein sowohl der Lebensmittelhersteller als auch der Verbraucher verankert ist.

Behörden müssen überzeugt werden 

Doch es gibt sie, die Alternativen zum Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden. Dr. David Owuor sieht sie im integrierten Pflanzenschutz. Das sind ökologische Methoden, die auf ganzheitliche und umweltfreundliche Massnahmen setzen. Sie werden in vielen Biovision-Projekten erfolgreich praktiziert. Doch von der Wirksamkeit der Methoden müsse die Forschung auch die Behörden überzeugen. «Die Interessenvertreter, die für den integrierten Pflanzenschutz und sicherere Alternativen werben, müssen die politischen Entscheidungsträger einbeziehen und ihnen aufzeigen, dass diese Alternativen funktionieren und effektiv sind.» Wenn die Politik mitziehe, könnten diese Ansätze ein multiplizierbares Musterbeispiel werden und «die Zugänglichkeit und Erschwinglichkeit für Lebensmittelproduzenten erleichtern.»

* idiopathisch: ohne erkennbare Ursache, selbstständig, unabhängig von anderen Krankheiten entstanden (von bestimmten Krankheitsbildern)

** Bei Organophosphaten handelt es sich um organische Phosphorsäureester (mehr zur Toxizität erfahren)

Dr. David Omollo Owuor ist Mediziner, der sich auf das öffentliche Gesundheitswesen spezialisiert hat. Er praktizierte in Kiambu, Zentralkenia, und Machakos, Ostkenia. Die beiden Gemeinden gehören zu den Haupt-Obst- und Gemüse-Produzenten in Kenia.   

Dr. Teresa Omwoyo hat viele Jahre als Amtsärztin im Kisumu-Krankenhaus gearbeitet. Kisumu ist ein Zentrum für Grossbetriebe wie dem Haupt-Zuckerrohr-Produzent und dem Reisanbau-Betrieb Ahero. Sie berichtet von ihren Erfahrungen bei der Arbeit auf den Höfen. 

Dr. Victor Ng’ani ist Arzt am RFH-Krankenhaus in Nairobi und besitzt 15 Jahre Erfahrung als Mediziner. Er arbeitete in verschiedenen Teilen des Landes, unter anderem im Landkreis Nakuru, wo es grosse Blumen-Betriebe gibt. 

Dr. Peter Mokaya hat über 30 Jahre Erfahrung als Amtsarzt und ist als Gesundheitsberater tätig. Er ist zudem Geschäftsführer des Kenianischen Bio-Verbands (Organic Consumers Alliance) 

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