Mut wächst auf dem Acker

Von

Lothar J. Lechner Bazzanella (Text) und Christian Merz (Bilder)

Familie Zürcher aus dem Emmental hat ihren Kleinbetrieb neu ausgerichtet – und dabei Hilfe von anderen Bäuerinnen und Bauern erhalten. Das «Betriebscoaching»-Projekt, das von Biovision unterstützt wird, zeigt, wie wichtig Vertrauen und Gespräche auf Augenhöhe für die Transformation unserer Landwirtschaft sind.

Hansjürg und Nadia Zürcher bewirtschaften im bernischen Arni einen 8,8 Hektare grossen Betrieb. Beide verbindet die Liebe zur Natur, zu den Tieren, dem Land, es ist für sie ein Traum und Herzensprojekt. Doch die Realität ist herausfordernd: Nebenerwerb, wenig Zeit, steile Flächen, knappe Mittel; bisher konnten die beiden nicht von der Landwirtschaft allein leben. «Wir wussten lange, dass wir etwas ändern möchten – aber nicht wie», sagt Nadia Zürcher.

Von den Erfahrungen anderer lernen 

Ein Betriebscoaching beim Hof Obermettlen von Marlen und Stephan Koch brachte die Wende. Im Rahmen eines Pilotprojekts des Netzwerks Agroecology Works, das von Biovision mitinitiiert wurde, teilen landwirtschaftliche Pionierbetriebe ihre Erfahrungen mit Berufskolleginnen und -kollegen. Mehrstündiger Austausch, Gespräche auf Augenhöhe, Ratschläge: «Was uns fehlte, war nicht theoretisches Wissen allein, sondern eine konkrete Perspektive – und jemand, der sagt: Es kann funktionieren! Es gibt einen anderen Weg», so Zürcher. 

Das Gespräch auf dem Hof der Familie Koch war mehr als ein fachlicher Austausch. Es war eine Ermutigung. «Wir haben schnell gemerkt, dass wir ähnliche Gedanken über Landwirtschaft haben. Dass wir einander verstehen.» Aus dem Treffen entstanden neue Ideen, ein klares Konzept, angepasst an die Herausforderungen der Familie Zürcher. Und die Initiative «Heimatärde», welche Anfang 2025 startete: mit Patenprogrammen für Kälber, interaktiven Bauernhoftagen, Fleischvermarktung im kleinen Stil. Auch Social Media spielt zunehmend eine Rolle, braucht aber viel Zeit – die Zürchers setzen zugleich auf persönliche Empfehlungen und direkte Begegnungen. Heute gehört eine kleine Herde Schottischer Hochlandrinder zum Betrieb, erste Patenschaften wurden schon abgeschlossen. Die Zürchers erzählen vom Gefühl, «endlich unseren Weg zu gehen». 

Nadia Zürcher nahm am Betriebscoaching teil. Seitdem hält sie auch Schottische Hochlandrinder.

Die emotionale Komponente 

Für Marlen Koch vom Hof Obermettlen war es die eigene Erfahrung, die zum Startschuss des Coachings führte: «Wir mussten uns jahrelang vieles selbst erarbeiten. Jetzt möchten wir anderen helfen, nicht dieselben Fehler zu machen.» Sie betont: «Das Coaching ist deshalb auch keine Beratung von oben. Sondern ein ehrlicher Austausch unter Praktikerinnen und Praktikern, der auch Platz für Zweifel und Emotionen lässt.» 

Tatsächlich geht es nicht nur um Betriebsmodelle, sondern oft auch um sehr menschliche Themen. Entscheidungsdruck, finanzielle Engpässe, das Dilemma zwischen Tierliebe und Schlachtungen. Die Zürchers haben sich nun zum Beispiel für Hoftötungen entschieden – ein bewusster Schritt, der ihnen Respekt, aber auch kritische Rückmeldungen eingebracht hat. «Manchmal hadere ich damit, Tiere zu töten, zu denen wir eine so enge Beziehung aufgebaut haben», sagt Nadia Zürcher. «Dann aber kann ich das einordnen: Wenn wir schon Fleisch essen, dann bitte so.» 

Neue Wege gemeinsam gehen 

Das Betriebscoaching will genau solche Wege eröffnen. Marlen Koch ist überzeugt: «Es gibt viele Bäuerinnen und Bauern, die bereit sind für Veränderung. Aber sie brauchen Sicherheit, Austausch und das Gefühl, nicht allein zu sein.» Eine der besten Erfahrungen aus den Coachings für sie: «Zu erleben, wie viele tolle Menschen in der Landwirtschaft unterwegs sind, die etwas bewegen wollen und auch werden – das macht Hoffnung». Auch für die Zürchers war der Kontakt weit mehr als ein einmaliges Treffen. «Da war sofort Vertrauen da – das hat uns Mut gemacht», erinnert sich Nadia Zürcher. «Man merkt: Wir sind nicht allein. Andere stellen sich dieselben Fragen.» 

Auch aufgrund solch positiver Rückmeldungen wachse die Nachfrage nach den Trainings stetig. Das Projekt wird im Winter 2025 deshalb ausgebaut. Mit dem übergeordneten Ziel: «Wir Kleinbauernfamilien können faire Märkte und den direkten Kontakt mit den Konsumierenden vorantreiben. Diese wollen ehrliche, gesunde Lebensmittel konsumieren, von denen sie wissen, woher sie kommen und wie sie produziert werden. Das können wir bieten», so Koch. 

«Bereit für Veränderung»; Marlen und Stephan Koch mit ihren Tieren.

Impulse für neue Entwicklungen 

Und Biovision? Hat das Ganze mitangestossen. Als Teil des Netzwerks Agroecology Works machen wir sogenannte «Leuchttürme der Agrarökologie» wie den Hof Obermettlen sichtbar – und zeigen, wie nachhaltige und erfolgreiche Betriebe den Wandel vorantreiben. «Es war von Anfang an unser Ziel, dass nicht alle bei Null anfangen müssen – also ohne Erfahrung oder greifbare Beispiele », sagt Samira Amos, die das Projekt zuerst bei Biovision und nun bei Agroecology Works betreut. «Sondern dass der Wandel in der Landwirtschaft von innen kommt – getragen von Menschen, die mutig vorangehen.» 

Das Betriebscoaching und der Austausch unter Gleichgesinnten ist für diesen Wandel elementar. So können sich Ideen und Erfolge verbreiten. Konsumierende werden aufmerksam, ein System beginnt sich zu verändern. Marlen Koch bringt es so auf den Punkt: «Es freut uns riesig, wenn wir nach den Coachings erfahren, was andere aufgrund unseres Impulses nun auf ihren Betrieben umsetzen. Das ist wie eine Wellenbewegung; ihr nachzusehen, ist wunderschön. In diesem Moment hat sich die Zukunft ein kleines Stückchen verändert.» 

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