Die Bauerndemonstrationen in Deutschland beschäftigen mich sehr: Sie sind das Ergebnis einer Landwirtschafts- und Ernährungspolitik, die viele deutsche Landwirtinnen und Landwirte seit Jahrzehnten in die Abhängigkeit der Agrarindustrie treibt, statt ihnen die Mittel für eine ressourcenverträgliche Zukunft in die Hand zu geben. Die deutsche Agrarindustrie und der Bauernverband haben seit Jahrzehnten die auf Massenproduktion ausgerichtete Subventionspolitik vorangetrieben, mit enormem Lobbying – in Brüssel wie in Berlin. Das Ergebnis: Massentierhaltung für Billigfleisch, die Verknappung von Pachtland, weil Agrartreibstoff aus nachwachsenden Rohstoffen zum Flächenfrass durch Agrokonzerne führte, sodass immer mehr Bio-Bäuer:innen kein Land mehr pachten können, und der Strukturwandel hin zu noch grösseren und industrielleren Betrieben.
Grüne zu Unrecht am Pranger der Bauernproteste
Doch nun werden ausgerechnet die ökologischen Kräfte in Deutschland, die diese Abwärtsspirale seit Jahren anprangern, allen voran Cem Özdemir als Landwirtschaftsminister und Robert Habeck als Wirtschaftsminister, für die Misere verantwortlich gemacht. Obwohl die CDU/CSU Regierung seit Jahrzenten mit Milliarden von Subventionen an der Spirale mitgedreht und davon kräftig profitiert hat. Dabei fordern die deutschen Grünen schon lange zusammen mit Umweltverbänden, Biolandwirt:innen und breit abgestützten Bürgerbewegungen die agrarökologische Wende in der Landwirtschaft: Qualität statt Quantität, faire Preise, Anerkennung und Unterstützung der vielfältigen Leistungen der nachhaltigen Landwirtschaft für Umwelt und Gesellschaft. (Mehr im Beitrag «Agrarökologie kurz erklärt»)
Über Maya Graf
Maya Graf, Ständerätin (Grüne/BL) und Biobäuerin steht durch ihr Engagement für die Umsetzung des Weltagrarberichtes (IAASTD) seit 2009 in Verbindung mit Biovision und wurde 2018 in den Stiftungsrat gewählt. Seit vielen Jahren engagiert sie sich erfolgreich für eine gentechfreie nachhaltige Schweizer Landwirtschaft und für den Tierschutz.
Stopp mit schädlichen Subventionen, Weg frei für ökologische Anreize
Die grossen Bauerndemos in Deutschland zeigen eindrücklich: es braucht eine agrarökologische Transformation des gesamten Ernährungssystems mit und nicht gegen die Bäuerinnen und Bauern. Schädliche Subventionen müssen durch Anreize für nachhaltige Produktion ersetzt werden. Die Schweiz zeigt wie, wenn auch leider zu zögerlich. Denn unsere Bundesverfassung bindet die Unterstützung der Landwirtschaft an nachhaltige Produktion, Qualität, Gentechfreiheit und Tierwohl und an die Entgeltung von allgemeingesellschaftlichen und Ökosystem-Leistungen. (Beispiele für vorbildliche Betriebe finden Sie hier.) Für die Landwirtschaftspolitik in Deutschland könnte das bedeuten:
- Die Bio-Strategie mit dem Ziel von 30 Prozent Biobauernhöfen bis 2030 sollte nun rasch umgesetzt werden. Dazu muss aber die Finanzierung der einzelnen Massnahmen gesichert und die Forschungsmittel für den Biolandbau gesteigert werden.
- Die deutsche Bundesregierung sollte sich in Brüssel mit aller Kraft dafür einsetzen, dass in Europa weiterhin gentechnikfrei produziert werden darf. Das ist wichtig für den Ökolandbau, aber auch für die vielen Betriebe, die ihren Kund:innen weiterhin gentechnikfreie Lebensmittel anbieten wollen.
- Landwirtinnen und Landwirte brauchen gegenüber den grossen Verarbeitern und Händlern eine stärkere Marktposition und faire Preise. Die Marktregeln sind so anzupassen, dass die Wende zu einem nachhaltigen Ernährungssystem den Bäuerinnen und Bauern keine zusätzlichen Probleme aufbürden, die sie gar nicht allein lösen können.
Die agrarökologische Wende anpacken – gemeinsam!
Eine zukunftsfähige Landwirtschaft braucht aber auch die Konsument:innen als Bürger:innen – in der Schweiz genauso wie in unserem Nachbarland. Am Samstag, den 20.01.2024, trägt Bioland – die deutsche Schwesterorganisation von Bio Suisse – die Forderungen mit einem breiten Bündnis auf die Berliner Strassen. Das Motto heisst: „Wir haben es satt!“ Ich würde anfügen: «Entscheiden wir mit unseren Gabeln mit, was auf die Teller kommt.»
Der Kommentar wurde am 21.01.2024 in der BAZ als Gastbeitrag erstveröffentlicht.