Uliza – Wenn Bäuerinnen und Bauern das Radioprogramm gestalten

Von

Lothar J. Lechner Bazzanella

In Tansania will Biovision mit ihren Partnerorganisationen Millionen von Bäuerinnen und Bauern für ökologische Landwirtschaft sensibilisieren. Dabei helfen Radioprogramme und gedruckte Magazine. Martin Schmid, Co-Bereichsleiter für Entwicklungsprojekte bei Biovision, erklärt die Kooperation mit der weltweit tätigen Organisation «Farm Radio International» und wie die Hörerschaft entscheidet, was das Radio sendet.

Martin Schmid, wie kam es zur Zusammenarbeit mit «Farm Radio International»?

Hier muss man etwas weiter ausholen. Farm Radio International (FRI) ist eine gemeinnützige Organisation, die mit Radiosendungen die landwirtschaftliche Entwicklung in afrikanischen Ländern fördert. Viele Menschen dort haben Schwierigkeiten, an Nachrichten oder informative Beiträge zu kommen. Da ist das Radio natürlich genial, da man es mittlerweile ganz einfach über Smartphone verfolgen kann. Die Zusammenarbeit zwischen Biovision und FRI ist aber ein wenig besonders.

Weshalb?

Weil diese Zusammenarbeit in Tansania eigentlich mit unserem gedruckten Magazin namens «TOF Magazin» in Kenia begann, das mittlerweile seit vielen Jahren Bäuerinnen und Bauern in Kenia erreicht. 2011 hat unsere langjährige Partnerorganisation Biovision Africa Trust entschieden, ein solches Magazin auch im Nachbarland Tansania zu etablieren. Es erschien dort also neu ein gedrucktes Magazin unter dem Namen «Mkulima Mbunifu – kreative Bäuer:innen». Und daneben gab es noch die Arbeit von Farm Radio International, welches jedoch lange unabhängig von Biovision in Tansania arbeitete.

Bis man sich für eine Zusammenarbeit entschied? 

Genau. Es kam zu einer Partnerschaft mit FRI und zu einem sehr besonderen und sehr spannenden Konstrukt. Magazin und Radio ergänzen sich mittlerweile gegenseitig, stimmen den Inhalt gemeinsam ab und die Radiosendung verweist auf das Magazin – und umgekehrt.

Warum dieses Konstrukt?

Es wurde hierfür in der Vergangenheit eine interessante Wirkungsstudie durchgeführt, die gezeigt hat: Je mehr verschiedene Kanäle die Bäuerinnen und Bauern haben, über welche sie die gleiche Information erhalten, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie diese Informationen dann auch im Alltag anwenden und praktisch nutzen. Abstimmung zwischen den Kanälen ist deshalb sehr wichtig.

Die Zusammenarbeit ist nun schon einige Jahre alt. Wie waren die Anfänge?

In einer ersten Phase hat FRI sehr eng mit fünf Radiostationen zusammengearbeitet, welche zusammen fast fünf Millionen potentielle Hörerinnen und Hörer zählen. Die Radiosender wurden mit Schulungen und Coachings begleitet und der Inhalt der Sendungen wurde zusammen mit Expertinnen und Experten entwickelt und dann ausgestrahlt. Ganz wichtig war für uns der interaktive Gedanke im Projekt.

Kannst du das genauer erklären?

Neben der Arbeit in und mit den Radiostationen wurden auch in ausgewählten Regionen 80 sogenannte Community Listener Groups etabliert – Gruppen von Bäuerinnen und Bauern, die ein GPS-Radio mit Aufnahmefunktion erhielten. Sie trafen und treffen sich immer noch regelmässig, um den Programmen zu lauschen, sich darüber auszutauschen und die agrarökologischen Praktiken zusammen anzuwenden.

Und was ist daran interaktiv?

Die Gruppen können Feedback geben, Fragen stellen, Themen angeben, welche dann an die Radiostationen weitergeleitet werden. Das hat nicht nur bei der Professionalisierung der Radioprogramme geholfen, sondern auch die Inhaltsplanung der einzelnen Sendungen stark geprägt. Dieses System des Austauschs ist immer noch entscheidend im Projekt und wurde über die Jahre laufend weiterentwickelt. 

Wie genau?

Die Radiosendungen haben heute ein sehr ausgeklügeltes Feedback-System namens Uliza im Einsatz. Während der Sendungen und im Hinblick auf die nächste Folge werden Fragen gestellt. Mithilfe von SMS und Anrufen können die einzelnen Bäuerinnen und Bauern auf die Fragen antworten, zu den Themen Stellung nehmen und so die Radiosendungen konkret mitgestalten. Es ist also keine One-Way-Kommunikation, sondern die Zuhörerschaft ist direkt eingebunden. Behandelt werden die brennendsten Fragen der Hörerinnen und Hörer und die Themen, die am meisten interessieren. 

Wie will man künftig weiterarbeiten?

Von 2024 bis 2026 wollen wir das Projekt weiter ausbauen. FRI wird nach wie vor eng mit den fünf Radiostationen zusammenarbeiten. Dazu kommen aber neu zehn weitere Sender, um einen Grossteil des Landes abzudecken. Zwar werden die zehn neuen Sender nicht mehr so eng begleitet wie in der ersten Phase. Die Zahl der produzierten Sendungen und potentiellen Hörerinnen und Hörer wird aber deutlich steigen.

Welche Ziele peilt man an?

Die Idee ist, dass in den nächsten drei Jahren rund 200 weitere Sendungen aufgenommen werden und die Reichweite von fünf auf zehn Millionen Hörerinnen und Hörer erhöht wird. Wir wollen gemeinsam mit FRI mindestens vier Millionen Menschen für Agrarökologie sensibilisieren und mindestens 1.2 Millionen sollen schlussendlich agrarökologische Praktiken anwenden.

Was sind die grössten Herausforderungen, um diese Ziele zu erreichen?

Wir müssen uns eingestehen, dass da ein riesiger Strom an Informationen auf Bäuerinnen und Bauern einprasselt. Und die allermeisten dieser Infos vermarkten weiterhin die konventionelle Landwirtschaft. Sich da mit einer knappen Stunde Radiosendung pro Woche zu behaupten, ist natürlich schwierig. Aber neueste Untersuchen zeigen, dass die Radioprogramme und Magazine Bäuerinnen und Bauern der Region sehr wohl beeinflussen.

Kann man denn heute schon sehen, dass die Radiosendungen Wirkung zeigen?

Ja, das kann man. Zu Beginn des Projektes vor rund drei Jahren hat FRI eine Umfrage gestartet und herausgefunden, dass die Hälfte der potenziellen Hörerinnen und Hörer gar kein Wissen von agrarökologischen Praktiken hatte. In einer aktuellen Umfrage gaben hingegen nur mehr 17 Prozent an, kein Wissen von solchen Praktiken zu haben. Über zwei Millionen Menschen haben angegeben, dass sie für agrarökologische Anbaumethoden sensibilisiert worden sind. Diese Zahlen geben uns Hoffnung und zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. 

Martin Schmid

Verantwortlicher für das Projekt mit Farm Radio International und Co-Bereichsleiter für Entwicklungsprojekte bei Biovision

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