Wer entscheidet, was wir essen?

Von

Réane Ahmad (Text) und François de Limoges (Foto)

In der Genossenschaft La Fève in Meyrin (GE) übernehmen Konsumenten und Produzentinnen gemeinsam wieder die Kontrolle über das Ernährungssystem.
devanture de magazin Genève
Frischprodukte im Quartierladen: «La Fève» führt Bauernschaft und Konsument:innen zusammen.

In der Schweiz entstehen immer mehr solidarische Lebensmittelläden, die sich an Initiativen aus anderen Ländern orientieren, etwa an La Louve in Paris, Bees Coop in Brüssel oder Park Slope Food Coop in New York. In Meyrin bei Genf heisst der Laden La Fève. Die gleichnamige Genossenschaft hat ein neues Modell entwickelt und setzt dabei auf kurze Transportwege. Zu den Gründern:innen gehört der ehemalige Bauer Raeto Cadotsch. «La Fève ist aus einer Verschmelzung von Wohn- und Landwirtschaftsgenossenschaften entstanden», erklärt der charismatische Vorreiter der regionalen Vertragslandwirtschaft. Zu den allgemeinen Problemen wie Isolation, Verkehrsmittel oder Energie, die den Quartierbewohner:innen am Herzen lagen, sei ab 2014 auch das Thema Landwirtschaft hinzugekommen. «Sehr schnell wurde die Ernährung zum Leitmotiv des Quartiers, und es entstanden mehrere Projekte, darunter ein Einkaufszentrum, das auch als Treffpunkt dient», ergänzt der engagierte Pionier.

Heute gibt es rund um La Fève vier Genossenschaften: Einen solidarischen Supermarkt, Verarbeitungsbetriebe (Metzgerei, Bäckerei, Käserei), einen urbanen Bauernhof und ein Gästehaus. Der Supermarkt ist eine Kombination aus Grossverteiler und Bauernladen und arbeitet auf der Basis von Verträgen mit fünf Gemüsebauern, die den Anbau gemeinsam planen. Preis, Menge und Qualität werden im Voraus festgelegt. Der Laden verpflichtet sich, die Produktion zu kaufen. La Fève tauscht sich ausserdem regelmässig mit den 250 Mitgliedern aus, die mindestens zwei Stunden pro Monat für die Genossenschaft arbeiten. Aber es bräuchte mindestens 500 Konsument:innen, damit der Laden einen Gewinn abwerfen könnte. «Wir probieren, zu einem echten Versorgungspartner der Gemeinde zu werden», sagt Raeto Cadotsch, «denn Meyrin hat es sich zum Ziel gesetzt hat, sämtliche Krippen und Schulen mit Bioprodukten zu beliefern.»

Grosse Herausforderungen

Doch der Weg von La Fève war und bleibt steinig. 2018 etwa ging eine Verkaufsfläche von 500 m2, die ursprünglich für den Laden vorgesehen war, an die Migros. Der solidarische Supermarkt musste ein viel zu kleines Verkaufslokal mit nur 60 m2 und später 100 m2 beziehen. «La Fève ist im Moment ein hippes Biolädeli im Quartier, was nicht unserer Idee entspricht», bekennt Raeto Cadotsch. Immerhin wird die Genossenschaft jetzt vom Kanton Genf und der Gemeinde beim Bau eines neuen Gebäudes unterstützt. Trotz einer hängigen Beschwerde hoffen die Initiant:innen auf den Spatenstich im kommenden Winter. Um solchen Probleme vorzubeugen, sei es unumgänglich, das Thema Lebensmittelversorgung schon im Rahmen von Quartierplanungen zu berücksichtigen, so Cadotsch.

Biogemüse – günstiger als beim Grossverteiler

Eine Herausforderung besteht für La Fève auch darin, wirklich günstige Schweizer Produkte zu finden. Dazu kommt der fehlende Platz für ein grosses Sortiment. Das macht es schwierig, den Kreis der Kund:innen zu erweitern. «Bei Gemüse und Frischprodukten sind wir bis zu 30 Prozent billiger als die Bio-Produkte der Migros», betont Cadotsch mit Nachdruck. «Doch das muss der Bevölkerung erst noch bewusst werden!» Dennoch ist der Pionier überzeugt vom idealistischen und zukunftsträchtigen Ansatz des Projekts. Denn er macht sich Sorgen über die Zukunft der Lebensmittelversorgung in der Schweiz. «Wenn sich nichts ändert, entscheiden dereinst allein die Industrie und der Handel, was wir essen», befürchtet er. Und angesprochen auf das elitäre Image, das solidarischen Läden anhaftet, antwortet er: «Wir wollen mit den Leuten ins Gespräch kommen und ihnen erklären, wie ein Bauernhof funktioniert. Landwirtschaft ist nichts Exklusives, sondern etwas sehr Bodenständiges.»

Mehr Genossenschaft La Fève

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