Unverblümt brachte es Dominik Waser auf den Punkt: «Wenn wir so weitermachen, sind wir bald am Ende». Doch mit dieser Ansicht stand der Aktivist der jungen Bewegung «Landwirtschaft mit Zukunft» – die auch Biovision unterstützt – in der Gesprächsrunde nicht alleine da: «Wir können und müssen jetzt handeln», mahnte Biovision-Stiftungsrätin Maya Graf; «Wir haben schon zu viel Zeit verloren», meinte Hans R. Herren, Biovision-Präsident und Verfasser des Weltagrarberichts 2009.
Am Online-Podium des «forum KURSWECHSEL» von Biovision – der diesjährigen Online-Ausgabe unseres jährlichen Symposiums – diskutierte unter dem Titel «Nachhaltige Ernährung– mit System?» eine so illustre wie diverse Runde von Aktivist Dominik Waser über Naturköchin Rebecca Clopath und Ständerätin Maya Graf bis zu Christian Hofer, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft BLW, über die Zukunft unseres Ernährungssystems. Alles lief auf die Frage hinaus, was wir in der Schweiz tun können, um den dringend notwendigen Wandel zu einem nachhaltigen Ernährungssystem voranzutreiben.
Landwirtschaft in der Sündenbockrolle
Eine erfreuliche Erkenntnis vorweg: Die Jugend auf der Strasse und das Bundesamt sind sich in dieser Frage näher, als man meinen könnte. Dies liegt vielleicht auch daran, dass die Forderung der Jugend, vorgebracht von Dominik Waser, nicht gerade radikal klingt: «Wir wollen eine Landwirtschaft und ein Ernährungssystem, das innerhalb der planetaren Grenzen funktionieren kann.»
Wo soll also die Transformation zu einem nachhaltigen System angepackt werden? Dominik Waser sagte: «In unseren Augen ist die Politik zu stark auf die Landwirtschaft ausgerichtet. Es braucht eine Politik, die das ganze Ernährungssystem mitdenkt.» Christian Hofer pflichtete bei: «Ich sehe eine Riesenchance darin, die Transformation der Ernährungssysteme gesamthaft zu betrachten. So werden alle in die Verantwortung genommen – und die Landwirtschaft ist nicht in der Sündenbockrolle.»
Christian Hofer strich die Verantwortung der Konsumenten heraus: «Wenn nur perfekt aussehende Früchte gekauft werden, wenn die Tiere nicht von <Nose to tail> verwertet werden und im Warenkorb viele Billigstprodukte aus dem Ausland sind, hat das einen starken negativen Einfluss darauf, wie bei uns die Landwirtschaft aussieht.» Auch Maya Graf betonte die Bedeutung der Rolle, die jeder und jede Einzelne spielt: «So wie wir essen, so sieht die Welt aus. Wir brauchen Konsumentinnen und Konsumenten, die durch ihr tägliches Einkaufen manifestieren, dass sie diese Transformation hin zu Bioprodukten und Regionalität wollen, auch im Restaurant danach fragen sowie eine bessere Deklaration verlangen.»
Kochen in der Bubble
Bei Rebecca Clopath, Naturköchin im bündnerischen Lohn, verlangt kein Gast regionales Essen, und es fragt niemand nach einer Deklaration. Denn bei ihr kommen sowieso nur Zutaten aus dem eigenen oder den Bio-Höfen aus der Umgebung in die Kochtöpfe. Und Sie erzählt ihren Gästen von sich aus bei jedem Gang, wo das Servierte herkommt und warum sie es auftischt. Gefragt, ob die Menschen denn bereit seien für ein neues, nachhaltiges Ernährungssystem, meint die Spitzenköchin: «Die Gäste, die wir auf dem Hof Taratsch haben, sind es auf jeden Fall. Ich bin mir aber bewusst, dass ich mich hier in einer Bubble bewege.» So habe sie in der Bäuerinnen-Lehre festgestellt, dass dort noch stark auf die «konventionelle» Landwirtschaft gesetzt werde. In der Koch-Szene sei Nachhaltigkeit heute jedoch ein grosses Thema.
Liegt es also nur an uns Konsumentinnen und Konsumenten, dass unser Ernährungssystem nicht nachhaltiger ist? Ganz so einfach ist es nicht. So meinte Dominik Waser: «Dass nicht nachhaltiger eingekauft wird, liegt aus unserer Sicht vor allem daran, dass die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Durch besser verfügbare Informationen und ein entsprechendes Angebot muss der Einkauf nachhaltiger Produkte einfacher gemacht werden.» Dominik Waser sieht hier die Politik in der Pflicht.
Einigkeit herrschte in der Runde wiederum darüber, dass die Kostenwahrheit ein zentraler Hebel wäre für mehr Nachhaltigkeit im Konsum. Würden die verursachten Schäden in die Produktepreise einbezogen, so der Tenor, fiele auch der Anreiz weg, Produkte aus umweltschädlicher und ausbeuterischer Herstellung zu kaufen. Oder, so brachte es Hans R. Herren auf den Punkt: «Bio ist nicht teurer, Bio ist billiger, wenn man richtig rechnet! Dies muss eingefordert werden.»
Zu hohe Margen auf Bio-Produkten
Maya Graf kritisierte die mangelhafte Deklaration, die ebenfalls nachhaltigeren Kaufentscheidungen entgegenwirke: «Die Menschen können im Laden nicht einmal erkennen, wenn importierte Produkte mit Methoden hergestellt wurden, die bei uns verboten sind: tierquälerische Nutztierhaltung wie Masttiere auf Spaltenböden oder Gemüse aus Plantagen mit menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen.» Die Biovision-Stiftungsrätin beklagte zudem, dass die Margen auf Bio-Produkten in der Schweiz sehr hoch sind. Sprich: Von den höheren Preisen profitieren nicht in erster Linie die Bauernfamilien, sondern die Grossverteiler.
Wie kommen wir zu mehr Kostenwahrheit? Auch hier besteht erfreuliche Einigkeit auf dem virtuellen Podium. Maya Graf streckt den Daumen hoch, als BLW-Direktor Christian Hofer sagt: «Meine persönliche Meinung ist: Wenn es über Förderung und Gebote nicht funktioniert, sind Lenkungsabgaben ein valables Instrument.» Auch der Bundesrat unterstützte die Erwähnung dieser Massnahme im Rahmen der Parlamentarischen Initiative – im Parlament fände sich aktuell dafür jedoch keine Mehrheit.
Die Jungen bleiben dran
Politisch nicht mehrheitsfähig ist derzeit wohl auch Hans R. Herrens Forderung, dass die Schweiz komplett auf Agrarökologie umstellt. Dass dies jedoch machbar wäre, bestätigt Ständerätin und Bio-Bäuerin Maya Graf: «Eine Schweiz, die biologisch produziert, ist kein Hirngespinst, sondern eine erfolgsversprechende Möglichkeit». Bedingung dafür sei eine Ernährung, wie sie heute viele junge Menschen schon praktizieren: «Mehr Gemüse, Früchte und Getreide, weniger tierische Produkte, und wenn Fleisch, dann von Nutztieren, die fressen, was hier wächst und die man von Kopf bis Fuss verwertet.»
Frank Eyhorn, Geschäftsführer von Biovision, moderierte die Diskussion. Er fragte Christian Hofer, ob die Stimme der Jungen denn Gehör finde im BLW. Der Direktor des Bundesamts bejahte und sagte: «Der Jugend gehört die Zukunft». Und hat man an diesem Nachmittag Dominik Waser zugehört, so erhielt man den Eindruck: Auf diese Jugend kann man zählen. Brauchte es dafür noch eine Bestätigung, so folgte diese im Schlussstatement des Aktivisten von «Landwirtschaft mit Zukunft»: «Die junge Generation wird uns als Gesellschaft nicht in Ruhe lassen, bis wir mit dem nötigen Tempo, der nötigen Ernsthaftigkeit und dem nötigen Mut auf den Weg gehen.»