Massai wagen Neues

Von

Peter Lüthi, Biovision

Die Massai sind traditionell Viehhalter – sie hatten bislang kaum Interesse am Ackerbau und lebten meist isoliert vom Rest der Gesellschaft. Dies ändert sich gerade in der tansanischen Region Morogoro.

Die Überraschung bei Alex Wostry war gross, als im März 2016 Massai an die Türe des Ausbildungszentrums für ökologische Landwirtschaft klopften und um Rat fragten. «Wir hätten längst mit den Nomaden kooperiert, wenn wir gewusst hätten, wie stark ihr Verlangen nach neuem Wissen ist», sagt der Mitbegründer und Co-Direktor von «Sustainable Agriculture Tanzania» (SAT), der lokalen Partnerorganisation von Biovision.

Während der Dürre von 2015 und 2016 verloren die Massai in der Region Morogoro viele Tiere. Notgedrungen liessen sie ihre Herden auf den Feldern von Ackerbauern Maisblätter fressen. Das führte zu heftigen Auseinandersetzungen bis zu bewaffneten Konflikten. Darauf erwogen die Nomaden, Heuvorräte für extreme Trockenzeiten anzulegen und mit dem Anbau von Mais und Gemüse zu beginnen – beides epochale Brüche mit ihrer Tradition. Mit diesen Ideen wandten sie sich an SAT.

Kooperation statt Konfrontation

Nach einer partizipatorischen Projektplanung begannen 2017 die Ausbildungskurse für Massai bei SAT. Auch Frauen nahmen teil – ein Novum in der patriarchalen Nomadengesellschaft. Zur Konfliktbewältigung zwischen Nomaden und Ackerbauern wurden unter anderem Austauschtreffen zwischen beiden Bevölkerungsgruppen abgehalten. Auch Studierende waren dabei, um zu lernen und zu forschen, aber auch, um ihr Wissen einzubringen. In einer der Gesprächsrunden fragte ein Agronomiestudent, warum die Massai ihre lokalen Viehrassen nie mit ertragreicheren modernen Gattungen kreuzten – das würde doch eine Verkleinerung der Herden ermöglichen und damit das Verlustrisiko während Dürrezeiten reduzieren. Die Frage brachte den Stein ins Rollen.

Win-Win für Nomaden und Behörden

Mitte Dezember 2017 besuchten 15 Massai staatliche Forschungszentren für Vieh- und Kleinviehzucht sowie Graswirtschaft und Weidemanagement. Die Forscherinnen und Forscher waren sehr angetan, ergab sich doch damit zum ersten Mal eine Kooperation mit Massai. Und die Nomaden gerieten angesichts der prächtigen Zuchtstiere und Ziegenböcke in Euphorie. Am 13. März 2018 fuhr ein Viehlastwagen bei SAT vor und überbrachte 15 Mpwapwa-Stiere und 10 Malya-Ziegen, beides tansanische Rassen, die an die harschen Lebensbedingungen angepasst, aber erheblich produktiver sind als traditionelle Züchtungen.

Nagelprobe kommt nächstes Jahr

Seither wurden bereits mehr als 350 Nachkommen der Malyaböcke geboren. «Die Zicklein sind widerstandsfähiger als die alten Rassen», freut sich Shee Kangai von der Nameloki-Gruppe aus Lubungo, der sich am Zuchtprojekt beteiligt. «Sie wachsen schneller, werden schwerer und bringen deshalb mehr Einkommen.» Beim Grossvieh mussten die Massai auch Rückschläge hinnehmen: Ein Zuchtbulle fiel Hyänen zum Opfer, ein zweiter einem Krokodil. Dennoch wachsen bis heute über 300 Mpwapwa-Kreuzungen heran. Anfang 2021 werden die ältesten erstmals kalben und Milch geben. Die Spannung ist allerseits gross, ob sich die Erwartungen erfüllen werden.

«Zusammenarbeit von Massai und Ackerbauern»

Die Massai entwickeln neue Strategien zur Anpassung ihrer Lebensweise an die Folgen des Klimawandels und zur Verminderung von Konflikten mit Ackerbauern.

Ziele der Projektphase (2017-2022)

  • Direkter Austausch zwischen Massai, Ackerbäuerinnen und -bauern und Behörden
  • Einführung und Zucht leistungsstarker, robuster Rinder- und Ziegenrassen
  • Kurse im Anbau von Gemüse und nahrhafter, dürretoleranter Futterpflanzen (Weidemanagement)

Projektbudget 2020

  • CHF 366 630

Wirkung des Projekts

Die Massai haben bereits begonnen, alte Traditionen den neuen Herausforderungen anzupassen. Dazu gehört insbesondere auch die Teilnahme von Frauen an Ausbildungskursen.

Die Massai und wir

Die Hirtenvölker Ostafrikas leiden bereits heute unter extremen Trockenheiten und Dürren. An den Ursachen des Klimawandels sind sie im Gegensatz zu uns aber kaum beteiligt.

Das können Sie tun

Achten Sie auf eine nachhaltige und möglichst ressourcenschonende Lebensweise (saisonal, regional, ökologisch und energieeffizient).

Offzielle Partnerschaft mit der DEZA

Biovision ist eine offizielle Partnerorganisation der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA, Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA.

Die internationalen Projekte von Biovision werden von der DEZA unterstützt.

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