14.2.2017
Bienen statt Rosen:
Der Honigkavalier
Gut möglich, dass unsere Rosen zum Valentinstag aus einem Gewächshaus in Äthiopien stammen. Dort setzt der junge Shelema Negeri aber nicht auf Blumen für seine Brautwerbung, sondern auf Bienen.
Von Peter Lüthi, Biovision-Projektreporter

Die Frau seines Lebens hat der 22-jährige Shelema Negeri aus Botar Boro im Südwesten Äthiopiens zwar längst im Auge. Blumen zum Valentinstag wird er ihr aber nicht überreichen, obwohl in seinem Heimatland die Gewächshäuser zur Produktion von Schnittblumen wie Pilze aus dem Boden schiessen. Diese befinden sich in der Nähe der Hauptstadt, und die Pflanzen sind für den Export bestimmt. Shelema aber wohnt fernab von Addis Abeba auf dem Land im Bezirk Tolay. Für ihn ist der Valentinstag kein Thema. Aber er würde seine Verlobte gerne heiraten. An Liebe fehlt es nicht, dafür aber am Geld.
Ein Vermögen für die Hochzeit
Heiraten ist teuer in Tolay. So erwarten etwa die Eltern der Braut ein grosszügiges Geschenk vom Bewerber, bevor sie einwilligen. „Ich werde sie neu einkleiden müssen,“ sagt Shelema, „und das ist nicht billig“. Zudem will es der Brauch, dass heiratswillige Männer ein grosses Hochzeitsfest für alle Verwandten und Bekannten mit Essen und Musik ausrichten. Und schliesslich sind da noch die vielen Geschenke für die Braut. Angehende Ehemänner müssen ihre Angebeteten verwöhnen mit Schmuck und schönen Kleidern, mit neuen Schuhen, einem edlen Schirm und vielem mehr. Eine Hochzeit kostet alles in allem mindestens 13'000 – 15'000 äthiopische Birr (570 – 660 Schweizer Franken). Shelema rechnet sogar mit 20'000 Birr. Für ihn ist das ein Vermögen. Söhne aus reichen Familien können es sich leisten. Nicht so Männer wie der junge Negeri. Sein Vater ist ein einfacher Bauer, und Bargeld ist rar in der Familie. Zudem ist Shelema nicht der einzige Sohn. „Ich habe noch fünf jüngere Brüder. Auch sie hoffen auf finanzielle Unterstützung des Vaters“, gibt er zu bedenken.
Der aufgeweckte Shelema erkannte bereits früh, dass das Glück in seinen eigenen Händen liegt. Deshalb liess er sich schon als Jugendlicher von einem vermögenderen Bauer als Helfer einstellen. Seither verdient er einen Naturallohn aus Mais- und Teffgetreide, das er verkauft. Die Einnahmen legt er wenn immer möglich zur Seite. Dabei war ihm von Anfang an klar, dass es sehr lange dauern würde, bis seine Ersparnis ausreicht für eine Heirat. Doch es kam anders.
Eine Chance fürs Leben
Als er und seine Jugendgruppe in Botar Boro hörten, dass in einem Projekt von Biovision junge Leute für eine Ausbildung in moderner Imkerei gesucht wurden, zögerten sie nicht und ergriffen die Chance. Zwar sind die Bienenhaltung und die Produktion von Honig in Tolay längst bekannt. Aber traditionelle Imker verwenden Körbe und hohle Baumstämme als Bienenkästen. Bei der Ernte arbeiten sie mit offenem Feuer, weshalb ihr Honig sehr stark nach Rauch schmeckt. Und weil das Wachs, der Honig und die Brut nicht getrennt sind, ist traditioneller Honig sehr stark mit Bienenkadavern und Wachs verunreinigt. In der modernen Imkerei hingegen kommen Bienenkästen mit Wabenrahmen zum Einsatz. Das erlaubt die Gewinnung von reinem Honig in sehr guter Qualität.
Die 37 Mitglieder von Shelemas Jugendgruppe – davon 11 Frauen – erlernten im Biovision-Projekt das Handwerk moderner Imker und Imkerinnen. Die Beteiligung junger Frauen war allerdings ein Novum in Tolay. Dort war Bienenhaltung bisher reine Männersache. Da für Biovision die Gleichberechtigung zwingend ist, musste sich die Dorfgemeinschaft erst zu einem Entscheid durchringen. Der Rat schaffte den Sprung über den eigenen Schatten. Seither gibt es in Tolay sehr erfolgreiche Bienenhalterinnen.
Bienen als Heiratshelfer
Jedes Gruppenmitglied erhielt 2 Bienenkästen und betreut sie unterdessen selbständig. Damit veränderte sich die Welt der jungen Leute. Sie alle produzieren jetzt reinen Honig, der in Äthiopien sehr gefragt ist und bis in die Hauptstadt verkauft werden kann. Denn im Biovision-Projekt wurden neben der Imkerei auch die sorgfältige Verarbeitung, Konfektionierung und der Verkauf des Honigs organisiert. So verdienen die Imkerinnen und Imker aus Tolay heute gutes Geld.
Dank dem Bienenprojekt von Biovision haben es in Tolay bereits mehr als 600 Menschen und deren Familien geschafft, ihre Lebenssituation markant zu verbessern. Insbesondere die jungen Teilnehmenden konnten sich damit eine neue Lebensperspektive eröffnen.
So auch der junge Shelema Negeri. „Mit meinen Honigernten kann ich bereits ca. 12'000 Birr pro Jahr verdienen“, strahlt er. Wenn alles gut geht, wird er seine Geliebte demnächst mit einem Sträusschen überraschen – und das nicht zum Valentinstag.